Leukämie – diese acht Buchstaben veränderten das Leben der Berlinerin Alina Weidlich und ließen ihre bis dato heile Welt zusammenbrechen. Aufgeben war aber keine Option, dank ihres starken Willens und ihrem CrossFit Training besiegte sie ihre Krankheit und wurde sogar Weltmeisterin.
„2018 war das, die Diagnose hat damals mein ganzes bisheriges Leben auf den Kopf gestellt“, blickt die zurück. Die Prognosen waren denkbar schlecht, die Ärzte machten ihr wenig Hoffnung. „Ich habe nicht erwartet, den nächsten Winter geschweige denn den nächsten Sommer zu erleben“, sagt Alina. Aber kampflos wollte sie nicht aufgeben. „Ich bin zur Therapie gegangen und habe mir gesagt: Wenn ich hier im Krankenhaus bleibe, werde ich wie all die anderen enden. Und ich habe mir überlegt: Wenn das mein letzter Tag auf Erden wäre, wie würde ich ihn gerne verbringen? Die Antwort: So, als wäre es der schönste und glücklichste Tag in meinem Leben. Da war die Entscheidung einfach: Ich würde zum CrossFit gehen.“ Das hat sie dann auch getan. Ausgiebig. Immer öfter, immer intensiver. Alina hat den Blutkrebs besiegt, nach drei Jahren galt sie als geheilt. Inzwischen sind sechs Jahre seit der Diagnose vergangen – und Alina fühlt sich besser denn je. „Neben den Therapien und mentalem Training hat mir der Sport buchstäblich das Leben gerettet“, sagt die 35-Jährige. Ihr Sport ist CrossFit, eine Fitnesstrainingsmethode, die unter anderem Gewichtheben, Sprinten, Eigengewichtsübungen sowie Turnen miteinander verbindet. Ziel ist die Verbesserung von Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Schnelligkeit, Geschicklichkeit, Balance, Koordination und Genauigkeit. CrossFit definiert Fitness als höhere Leistungsfähigkeit in allen diesen Bereichen.
„In meiner Familie laufen alle Marathon“, sagt Alina. „Aber das war nie so mein Ding. Mein Bruder hat mich dann auf CrossFit aufmerksam gemacht. Ich bin mal hin und habe die fittesten Leute getroffen, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Da hat es mich erwischt.“ Mit dem Sport hatte sie gerade angefangen, als die niederschmetternde Dia-
gnose kam. Heute bestimmt er ihr Leben. Und sie hat es weit gebracht. Bei den Weltmeisterschaften der iF3 (International Functional Fitness Federation) der Masters und Youths im Herbst 2023 in Richmond/Kanada sicherte sie sich den Weltmeistertitel in der Altersklasse 35-39 Jahre vor zwei Schwedinnen. Und wenige Tage später gewann sie mit einer Teamkollegin gleich noch den größten Schweizer Wettkampf im CrossFit, den Swiss Throwdown. „In diesem Jahr möchte ich mir den Traum erfüllen und es zu den CrossFit Games schaffen. Es ist das erste Mal, dass ich es versuche, aber ich habe so ein Gefühl, dass das vielleicht sogar klappen könnte. Dafür gebe ich jeden Tag alles“, sagt Alina.
Natürlich wird sie es schaffen, da kann man sich fast sicher sein. Denn was Alina Weidlich anpackt, das gelingt ihr auch. Vor ihrer Sportkarriere hat sie auf ganz anderem Terrain große Erfolge gefeiert. Schon mit drei Jahren beginnt das in einer höchst musikalischen Familie in Frohnau aufwachsende Mädchen mit dem Flötenspiel, mit neun Jahren steht sie als Solistin mit dem Kinderchor der Komischen Oper Berlin auf der Bühne. 1999 erhält sie ihr erstes Stipendium an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin und wird in die Flötenklasse von Professorin Annette von Stackelberg an der Universität der Künste Berlin aufgenommen. 2003 ist sie Soloflötistin u.a. im Abonnentenorchester des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin, Konzertreisen führen sie bis in die USA. Alina ist zweifache Gewinnerin des 1. Preises des Bundeswettbewerbs „Jugend musiziert“, besucht Meisterkurse bei den angesagtesten Professoren und und und. Ab 2007 hilft sie regelmäßig im Deutschen Symphonie-Orchester Berlin aus und nimmt an mehreren Konzertreisen teil. Und 2008 macht sie Aufnahmen zur Filmmusik von Tom Tykwers The International, zudem ist sie Mitglied des Orchesters bei der Aufführung von Wagners Tannhäuser im Rahmen der Baden-Badener Sommerfestspiele. Und sie ist als Flötenpädagogin tätig. „Die Flöte hat mich 25 Jahre lang täglich begleitet und mich in jeder Hinsicht viel gelehrt“, sagt Alina. „Heute spiele ich meist nur noch für mich selbst oder für Freunde. Dann bin ich immer wieder überrascht, wie gut es noch geht. Aber ich möchte diese Erfahrung auch nicht missen. Es ist unendlich viel wert, wenn man eine Sache macht und dran bleibt. Man lernt auf den verschiedensten Ebenen so viel.“
Wie gesagt, was Alina anfängt, das zieht sie auch durch. Der Wechsel von edlen Konzerthäusern in ein Gym scheint krass, aber Trainingshallen sind seit ein paar Jahren ihre Welt. CrossFit ist ihr Leben, finanziert wird sie durch Sponsoren. Derzeit lebt sie halb auf Mallorca, halb in Berlin. Die Mallorca-Zeitung hat sie sozusagen „eingemeindet“ und nach dem Sieg in Kanada eine große Story über die Weltmeisterin aus Mallorca gebracht. „Die Trainingsbedingungen sind auf der Insel ideal, so dass ich sehr häufig in Palma bin. Genauso wie in Berlin hat sich dort ebenfalls ein soziales Netz gebildet, in dem ich mich sehr wohl fühle. Mein Trainer wohnt in Kiel und meine Familie in Berlin – es gibt also gleich so einige Orte, an denen ich mich zu Hause fühle. Meine Wohnung habe ich mittlerweile im Prenzlauer Berg und meine Homebox, für die ich auch bei Wettkämpfen antrete, ist Hauptstadt CrossFit in Wilmersdorf.“
Anfang Februar erwischen wie sie telefonisch auf der Insel, hier trainiert sie im CrossFit C23 in einem Industriegebiet im Osten der Hauptstadt Palma. „Hier sind gerade 26 Grad“, freut sie sich. Sie trainiert täglich rund sechs Stunden, dazu kommen noch die Zeiten außerhalb des Gyms für Recovery, Massagen, Physiotherapie, Osteopathie usw. „Und natürlich für viel essen. Das klingt jetzt vielleicht verrückt, aber ich habe oft das Gefühl, dass ich einen Großteil des Tages, wenn ich gerade nicht trainiere, mit Kochen und Essen verbringe. Dadurch, dass ich täglich etwa die doppelte Tagesmenge eines erwachsenen Menschen zu mir nehme, kann das dann und wann schon zu einer Herausforderung werden.“ 20 Kilo hat sie im Vergleich zu früher mehr drauf, aber kein Fett, sondern alles Muskelmasse. „Wenn ich mir heute Bilder von mir vor fünf, sechs Jahren ansehe, dann erkenne ich mich kaum wieder“, lacht sie. Hanteln sind eben auch etwas anderes als Querflöten. Alinas Motto aber ist universell: „Nichts ist unmöglich. Sei einfach Du selbst und lebe dein Leben. Es ist ein Geschenk.“ Sagt‘s und schwingt sich an die Reckstange. Viel Glück bei den CrossFit Games!