Seine Klangkompositionen erinnern an den Soundtrack eines Films, in dem es um Abschied, Trauer und Schmerz geht, aber auch um Glück und Hoffnung. Ein Wechselbad der Gefühle erlebt man bei Benjamin Richters Musik. Der Klaviervirtuose beherrscht die leisen Töne ebenso wie das ganz große Drama.
Benjamin Richter ist ein cooler Hund. Zum Interview schlappt er lässig in kurzen Jeans und weißem T-Shirt, unter dem die braungebrannten Arme mit Tattoos hervorschauen, in ein Eckcafé im angesagtesten Teil von Berlin-Mitte. Er trägt Dreitagebart und auf dem Kopf hat er ein schwarzes Basecap keck so eingedreht, dass man direkt über seiner Stirn den Spruch „Still not giving a fuck“ (Ist mir immer noch scheißegal) lesen kann. Ganz sicher ist das nicht das Motto von Benjamin, mit dem man schnell per Du ist. Der junge Mann, Jahrgang 1981, ist gerade vom Familienurlaub mit den Eltern und seinen drei jüngeren Schwestern aus Mallorca zurückgekehrt. Egal ist Benjamin nichts, ihm liegt sehr viel an seiner Musik. Ganz stolz ist er auf sein Debüt-Album als Pianist. Dabei sah es in seiner Kindheit gar nicht unbedingt danach aus. In dem Rechtsanwaltshaushalt in der Nähe von Düsseldorf stand zwar immer ein Flügel, und Benjamin bekam ab dem Alter von zehn Jahren jede Woche Klavierunterricht. Dabei platzte aber nicht der Knoten. Schon eher „bei meinen tausend Bandprojekten“, also als er im Teenageralter bei verschiedenen Jugendbands mitwirkte. Von den Stilen her ging es da querbeet um Rock, Hiphop und Punk. Dem Abi folgten Zivildienst und sechs Semester Philosophiestudium. Parallel war Benjamin immer wieder Keyboarder bei verschiedenen Popbands, u. a. bei Krypteria, Butterfly Coma und in der Band von Marc Terenzi, dem Partner der Sängerin Sarah Connor, mit der er auch im Fernsehen bei Pro7 auftrat. 2002 baute er zudem sein eigenes Studio auf und betätigte sich als Produzent und Songschreiber für Rock- und, es wurde immer härter, Metal-Bands. Zu seinem Umzug nach Berlin 2009 führte ein Schlüsselerlebnis in New York, als er erstmals für eine Woche dort war, um Sarah Connor auf dem Klavier zu begleiten. „Der Ruhrpott kann‘s nicht gewesen sein“, dachte er da und beschloss in die deutsche Stadt zu ziehen, die dem „Big Apple“ am ähnlichsten ist und wo für die deutsche Musikbranche die Musik spielt. Seine Karriere als Produzent von Bands wie der „ziemlich harten“ modernen deutschen Metal-Band Caliban sowie Emil Bulls und Moonspell lief bestens. Seit 2006 komponierte er alljährlich den Soundtrack der „Horror Nights“ im Europa Park Rust. „Da kann ich mich komplett austoben“, schwärmt er.
Beethoven trifft Depeche Mode auf „The Grand Momentum“ Und doch brauchte er wohl den Kick. Auf der Echo-Party im vergangenen Jahr traf er den Musikproduzenten Bernd Wendlandt, der auch mit Silbermond, Glasperlenspiel und Faun arbeitet. Beide kamen überein, dass es eine spannende Herausforderung wäre, dass sich Benjamin als Solist versucht, und dass Wendlandt ihn dabei unterstützt. Diese Idee und vor allem die Tatsache, eigene Kompositionen musikalisch umzusetzen, führten zum Vorspiel bei der Plattenfirma Sony Classical. Die war begeistert von Benjamins Werken, bei denen der Cross-Over-Gedanke immer präsent ist, und ließen ihn sein Debüt „The Grand Momentum“ produzieren. Diesen Album-Titel – „Ich mag es majestätisch!“ – erfand er zusammen mit seinen Schwestern im Auto: „Grand“ steht für „Grand Piano“ und „Momentum“ dafür, dass es ein ganz großer Moment für ihn ist, seine eigenen Werke zu kreieren und einzuspielen. Brüche sind bei seinen oftmals düster melancholischen Songs immer präsent. Bestes Beispiel für seine bewusste Verweigerung des Schubladen-Denkens ist „Enjoy The Silence Sonata“, ein Pop-Klassik-Mix aus Beethovens Mondschein-Sonate und „Enjoy The Silence“, dem Superhit von Depeche Mode aus den Achtzigern. Sein „Wiegenlied“ ruft ganz unterschiedliche Gefühle wach und lässt Spielraum für mehrere Interpretationen.
Poetische Gedanken von Victor Hugo und Hermann Hesse „Melancholie ist das Vergnügen, traurig zu sein“, zitiert der musikalische Grenzgänger den französischen Schriftsteller Victor Hugo. „Ich möchte die Traurigkeit zum Tanz bitten“, lautet sein Credo. Benjamin liebt die Melancholie und hat ein Faible für den Winter, die dunkle Zeit, Zeit zum vielen Nachdenken. „Man sollte sich von seiner Traurigkeit aber nicht herunterziehen lassen, sondern damit umzugehen lernen. Und sie damit in etwas Positives verwandeln.“ „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, zitiert er auch Hermann Hesse. Die deutsche Sprache bietet so viel Bewegungsfreiheit für das Philosphieren, schwärmt der frühere Philosophiestudent. Vor seinem allerersten Live-Konzert als Solokünstler – „meiner Feuertaufe“ – war er „nervös bis unter die Haarspitzen“. Vor rund 150 geladenen Gästen musizierte und moderierte er im nhow-Hotel, wofür er sehr positive Resonanz bekam. Eine ursprünglich für Herbst geplante Tour kam aufgrund seiner vielfältigen Produzenten-Aufträge nicht zustande, doch natürlich möchte er gern live seinem Publikum gegenübertreten. Am liebsten mal mit einem Konzert im Kreuzberger Club „Loreley“.
Live zusammen mit Lindsey Stirling oder David Garrett Er muss nicht unbedingt ganz allein einen Abend bestreiten, sondern kann sich das Live-Spielen zum Beispiel auch „als Support für einen großen Künstler wie Lindsey Stirling“ vorstellen. Die amerikanische Violinistin ist eine Bühnenkünstlerin, die ihre Darbietungen mit Choreographien versieht. 2014 erhielt sie in Berlin den Echo. Oder vielleicht einmal zusammen mit dem „Geigenrebellen“ David Garrett? Dieser erreicht mit seinem Mix aus E- und U-Musik ein Publikum, das der Klassik sonst wahrscheinlich fernbleiben würde. Ein Vorbild? Benjamin findet den Kollegen sehr gut, „wir unterscheiden uns allerdings sehr.“ Ganz stolz auf sein „Grand Momentum“ empfindet er sich als ganz am Anfang seiner Entwicklung als Solokünstler. Er ist dabei auch auf der Suche nach sich selbst. „Alles ist im Werden.“ Für sein zweites Album sammelt Benjamin bereits Ideen. Fest steht, dass er wieder grenzüberschreitende Sounds zwischen U- und E-Musik gestalten wird. Denn er liebt Brüche.