Immer wieder „68“. Immer wieder die Frage nach der Wirkung dieses Jahres auf Politik und Gesellschaft – aktuell befeuert durch die Erinnerung an die Ermordung Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967. Nach dem „wahren Erbe von 68“ fragte der ZEIT-Titel Anfang Juni.
Welchen Einfluss aber hat dieses Jahr auf das Auto, auf Verkehr und Mobilität, welche Rolle spielt 1968 in der Geschichte des Autos? Zumindest fragte sich das in einer Anzeige schon vor geraumer Zeit Mercedes, für die Jung von Matt formulierte: „Was ist eigentlich aus den 68ern geworden?“
1968 ist konjunkturell ein gutes Autojahr, die Produktion steigt gegenüber dem Vorjahr um über ein Drittel auf gut 2,8 Millionen, daran hat VW einen Anteil von knapp 51 Prozent. Heute produzieren (incl. aller Produktionsstätten weltweit) Audi, BMW und Mercedes zusammen über sechs Millionen Einheiten pro Jahr. VW verkauft gut, aber es dämmert dem Konzern, dass dem Heckmotor die Stunde schlägt. Darüber kann auch nicht die Käfer-Kosmetik für das Modelljahr 1968 mit stehenden Schweinwerfern und stärkeren (schienenprofilartigen) Stoßstangen hinwegtäuschen. Und er bekommt einen weiteren „großen Bruder“ – den neuen VW 411, eine Schräghecklimousine mit modernem Fahrwerk, doch durstigem, schwachem 1,8 Liter-Boxer. Erfreulicher für VW und kein Ergebnis eines Marketings – 1968 nimmt sich die Flower-Power-Generation „das“ Nutzfahrzeug der bürgerlichen Handwerker, den VW-Bus, vor und macht ihn zu dem Globetrotter-Kultmobil, zur zweiten VW-Legende nach dem Käfer.
Ohne dass es in Wolfsburg jemand ahnt, liegt die Rettung in Ingolstadt. VWs langjähriger Nachkriegs-Lenker Heinrich Nordhoff, der 1968 stirbt und von Kurt Lotz beerbt wird, hatte bei der Übernahme Audis von Mercedes nur an eine Verwendung als weiterer VW-Produktionsstandort gedacht. Dass der legendäre Audi-Ingenieur Ludwig Kraus mit einer verschwiegenen Mannschaft den ersten direkt so bezeichneten Nachkriegs-Audi (Audi 60, 75 und Super 90 waren zunächst als DKW auf den Markt gekommen) im Geheimen und auf eigene Faust entwickelt, erfährt er erst, als Kraus die Plane lüftet und Nordhoff den fertig entwickelten Audi 100 zeigt.
Und für Audi bedeutet der erste Audi 100 den Startschuss für den dann hart erarbeiteten Weg zur Premiummarke. Einen Beitrag dazu leistet ganz besonders auch der vor 50 Jahren vorgestellte NSU RO 80, dessen Design mit glatten Flächen, langem Radstand, tiefem Bug (möglich durch den Rotationsmotor) und hohem Heck mindestens zwei Jahrzehnte voraus war – ein verkanntes Talent mit nur 37.000 produzierten Exemplaren in zehn Jahren.
Auch für BMW ist das Jahr 1968 von strategischer Bedeutung. Stück für Stück vervollständigt der Hersteller sein Portfolio auf dem Weg nach oben. Nach der Rettung durch die „Neue Klasse“ (BMW 1500, später 1800, 2000) 1961 mit der bis heute durchgehaltenen Designlinie etwa mit dem „Hofmeister-Knick in der C-Säule“, dann der 02er Baureihe (1966), startet 1968 die markenprägende Reihensechszylinder- Kultur. Präsentiert wird sie in der Baureihe „E3“, zunächst dem BMW 2500 und 2800, im Laufe der Zeit als 3.0 S, dann als 3.3 Li etc. ausgebaut.
Der direkte Konkurrent, die S-Klasse, wird 1968 aufgerüstet: „6.3“ heißt der entscheidende Zusatz beim 300 SEL, der 1968 durch die Adaption des 6.300 ccm großen Achtzylinders aus dem Mercedes 600 nun 250 PS erreicht und von Auto Motor und Sport im Heft vom 17. August mit 221 km/h Spitzengeschwindigkeit getestet wird, einen Kilometer langsamer als Porsches 911 S.
Wichtiger ist für Mercedes der Launch der legendären /8er Reihe. Die Reihe 200 D bis 250 (später auch 280/280E) überzeugt durch ihr sachliches Design aus der Hand von Paul Bracq, der sich schon mit dem 1963 vorgestellten („Pagoden“-) 230 SL und der S-Klasse von 1965 unsterblich gemacht hatte.
Im Übrigen erlebte auch der /8er, vor allem als Diesel, eine Metamorphose wie der VW-Bus – von der Bürger-, Bonzen- Karre zum „Alternativ“-Mobil der späten 70er- und 80er-Jahre. Interessant bis heute übrigens, dass sich in alternativen Stadtvierteln weiterhin oft viele alte Mercedes-Typen wie etwa das Mercedes W124 T-Modell finden. Vielleicht lag es auch an Pop- und Rockstars wie Janis Joplin, die im Jahr ihres Todes, 1970, Mercedes ein Lied widmete.
Opel hatte 1967 einen großen Motor in den Mittelklasse-Rekord-C gepackt und nannte diese Kombination Commodore (A), der in der stärksten Ausbaustufe als GS/E 150 PS mobilisierte und damit eine Art BMW M5 der späten Sixties wurde. Genau das Gegenteil war der 1968 vorgestellte Opel GT, der eine geschrumpfte Corvette-Optik über Rekord-Motoren und Kadett-Fahrgestellt setzte. Eigentlich hätte der GT den Commodore-Motor verdient!
Ford leckte sich die Wunden mit den von den Kunden nicht angenommenen 1967 vorgestellten neuen 17/20 M-Modellen, der sogenannten P7-Baureihe als Nachfolger der „Linie der Vernunft“, dem P4 von 1964. 1968 wurde der P7 mit anderen Lampen und Stoßstangen wieder europäisiert.
Und Porsche? Der 911 ist vier Jahre auf dem Markt und wird – im Wirtschaftskrisenjahr 1967 – um eine schwächere Variante, den 911 T mit lediglich 110 PS, ergänzt – was dem Vergnügen mit immer noch 208 km/h Spitze keinen Abbruch tat. „Was ist eigentlich aus den 68ern geworden?“, fragte Mercedes vor etlichen Jahren, um auf den robusten Bestand an immer noch erhaltenen /8er hinzuweisen vor der Kulisse von gepressten Schrottautos all der anderen Marken.
Vor knapp 50 Jahren zeigte die Autowelt viel Individualität, kein Besetzen von jeder Marktnische, nicht jeder machte Kombis, nur die wenigsten Hersteller offerierten Diesel, Vans und SUVs schon gar nicht. Hersteller blieben ihren Eigenheiten treu oder verstärkten diese, legten den Grundstein für ihre Marke und bauten Fundamente, von denen sie bis heute zehren. Eine Art von „Marsch durch die Institutionen“ also.