100 Tage im Amt – ein guter Anlass für ein Gespräch mit Mike Schubert, der seit dem 28. November 2018 Potsdams Oberbürgermeister ist.
Sie sind seit rund 100 Tagen im Amt – ist das leichter, schwerer oder genauso, wie Sie es erwartet haben?
Es war wie erwartet, schließlich habe ich zwei Jahre im Haus gearbeitet, dazu kommen 18 Jahre ehrenamtliche Tätigkeit. Da wusste ich, was auf mich zukommt. Das Schöne dabei: Die Überraschungen sind trotzdem da. Aber das bringt jeder neue Arbeitsplatz mit sich. Mir war von Anfang an klar, dass es in Potsdam keine 100 Tage gibt, um erst mal anzukommen. Es warteten mehr als genug Aufgaben auf mich.
Was war denn die erste Aufgabe, die Sie zu lösen hatten?
(überlegt kurz). Schon wieder ganz schön lange her. Die erste Veränderung war, dass in diesem Büro ein Computer ankam. Dann ging es aber sehr schnell mit den wichtigen Themen los: Kita- Gebühren, Brauhausberg, Krampnitz … Wir haben sehr schnell entschieden, dass wir zusätzliches Personal brauchen, um die wachsenden Aufgaben der nächsten Jahre zu bewältigen.
Wo haben Sie die Schwerpunkte Ihrer Amtszeit gesetzt?
Kernthema ist, wie wir zukünftig mit dem Wachstum der Stadt umgehen. Potsdam hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung genommen. Das hat viele gute Seiten, birgt aber auch Fragen und Probleme, so das Tempo, in dem Kindertagesstätten und Schulneubauten entstehen. Wachstum ist eben mehr als Wohnen. Deshalb ist einer der wichtigen Themenschwerpunkte in den nächsten Jahren, die soziale Infrastruktur und die Bevölkerungszunahme in Einklang zu bringen. Ein zweiter ist die Modernisierung der Verwaltung. Von rund 2.200 Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung gehen 600 in den nächsten fünf Jahren in den Ruhestand, darunter 60 Führungskräfte. Da ist Handlungsbedarf. Und drittens wollen wir in den Bürger-Beteiligungsprozessen einen großen Schritt nach vorn machen. Das hat mit kleinen Formaten wie der Wiedereinführung der Bürgersprechstunde begonnen, setzt sich fort mit den Stadtteilspaziergängen – der erste am 9. März – und hört bei Stadtteil-Dialog-Veranstaltungen nicht auf. Flankiert wird das durch die Neuausrichtung unserer Social-media- Arbeit, die aktiver, schneller und dialogorientiert ist.
Wer sind bei diesen Schwerpunkten Ihre wichtigsten Partner?
Wichtigste Partner sind die Kolleginnen und Kollegen hier im Haus. Die Verwaltung muss so aufgestellt sein, dass sie die Wachstumsherausforderungen der nächsten Jahre schultern kann. Bei den Modernisierungsprozessen setzen wir auf die Wissenschaftseinrichtungen der Stadt mit ihrem Wissen und Knowhow. Wir wollen keinesfalls im eigenen Saft schmoren. Deshalb versuche ich, so viel wie möglich unterwegs zu sein. Da hat mich Matthias Platzecks Credo „Mit dem Gesicht zum Menschen“ geprägt.
Dafür steht Ihre Bürgersprechstunde, die einen enormen Ansturm erlebt. Ist das nicht wie Speed-Dating: Man weiß nie, was einen erwartet?
Ja, im weitesten Sinn schon. Ursprünglich hatten wir eine Bürgersprechstunde pro Quartal geplant, aber der Ansturm war so groß, dass ich dies nun monatlich durchführe. Allgemeine Aussagen lassen sich nicht treffen, die Themen reichen von politischen Fragen bis hin zu sehr persönlichen Problemen.
Sie sind aber nicht der Beichtvater.
Nein, es geht um Beteiligungsprozesse. Die Bürgerinnen und Bürger kommen hierher mit dem Wunsch, dass sich etwas verändert. Natürlich geht das nicht immer, aber auch das muss man ehrlich zugeben. Da, wo wir helfen können, vereinbaren wir einen Weg.
Potsdam ist ein begehrter Lebensort. Wird die Stadt den Zuzug von 2.500 bis 3.500 Menschen pro Jahr schmerzfrei verkraften?
Die Prognosen weisen aus, dass dieses rasante Wachstum anhält und wir bei weit über 200.000 Einwohnern landen könnten. Aber diese Entwicklung ist lenkbar, sie hat etwas mit der Ausweisung von Baugebieten und anderen Steuerungsprozessen zu tun. Mir ist sehr wichtig, dass Wachstum nicht das besondere, erhaltenswerte Flair der Stadt – Stichworte Wasser und Grün – verändert. Wenn wir das erhalten und behutsam wachsen, ist der Anstieg noch immer eine Herausforderung, aber kein Problem.
Sie haben in den ersten 100 Tagen Amtszeit drei grundsätzliche Entscheidungen im Baubereich getroffen, die die Identität der Stadt berühren.
Nicht nur berühren, sondern ausmachen. Es geht darum, die verschiedenen Bauetappen, die diese Stadt durchlaufen hat, sichtbar zu halten. Konkret: die Umgestaltung des ehemaligen Terrassenrestaurants Minsk als Symbol für die Zeit von 1945 bis 1989. Für die Identität nach der Wende stehen Gebäude wie die Biosphäre. Deshalb ist wichtig, dass sie erhalten bleibt. Der Diskussionsprozess darum läuft seit 2014, da wurde es mehr als Zeit, klare Aussagen zu treffen. Und wir haben eine Diskussion um die Nutzung und die Architektur des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerkes.
Nun hat ja Potsdam auch eine diskussionsfreudige Bürgerschaft.
Wir haben glücklicherweise eine sehr lebhafte Bürgerschaft, die viel miteinander diskutiert und gern mal streitet. Dieser demokratische Streit ist gewollt. Dabei sollten Respekt und Stil gewahrt werden – gerade auch in den sozialen Medien.
Wie beschreiben Sie die Beziehungen zu Berlin?
Ist es eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe? Auf welchem Gebiet gibt es eine intensive Zusammenarbeit? Ich habe sowohl zu meinem Amtskollegen im Roten Rathaus als auch zum Spandauer Bürgermeister Helmut Kleebank Kontakte aufgenommen, da es eine Menge Anknüpfungspunkte gibt, wobei die Verkehrsinfrastruktur einer der wichtigsten ist. Wir schauen aber in alle Richtungen, deshalb ist auch die Zusammenarbeit mit den Landräten in Potsdam-Mittelmark und im Havelland sowie dem Oberbürgermeister von Brandenburg an der Havel wichtig. Es geht um die Region, die boomt.
Eine ganz persönliche Frage: Ihre Biografie weicht von der vieler Politiker ab. Sie haben Pläne scheitern sehen und mussten Sozialhilfe beantragen. Sehen Sie das im Nachhinein als gute Schule? Hilft es, Menschen besser zu verstehen?
Ich bin überzeugt davon, dass Brüche zum Leben gehören. Das erleben viele Menschen und gerade die ostdeutschen Biografien zeigen das nach 1989 fast ausnahmslos. Meine Familie fing mich in allen Situationen auf und gab mir den Rat mit: Entscheidend ist nicht, wie oft man auf die Nase fällt, sondern dass man wieder aufsteht und weiß, wo es weitergeht. Jede Niederlage und jeder knappe Sieg führt auch zur Analyse der Faktoren, die genau das auslösten.
Sie traten 1995 in SPD ein. Was war der Grund, in die Politik zu gehen?
Ich ging den Weg vom passiven Zeitungsleser zum politisch aktiven Menschen mit der Motivation, nicht einfach nur zuzuschauen, sondern Dinge zu verändern. Das fiel in die Zeit der persönlichen Niederlage, in der ich viel über soziale Netze nachdachte. Und so ging ich in die Potsdamer SPD-Parteizentrale und sagte: Ich will Mitglied werden. Eine sehr bewusste und gerade Entscheidung.
Was hat Sie auf dem Weg zum Politiker besonders geprägt?
Das ist schwierig zu beantworten, denn es gab mehrere Meilensteine: das Aufgefangen- werden im eigenen sozialen Netz, zu erleben, wie wichtig Bildung ist. Später habe ich dann stolz angefügt, dass es Ergebnis sozialdemokratischer Politik ist, dank zweitem Bildungsweg ein Hochschulstudium zu absolvieren. Geprägt haben mich die sechs Monate Auslandseinsatz im Kosovo, wo ich Krieg und Vertreibung erleben musste und lernte, mit anderen Augen auf die deutsche Geschichte zu schauen. Und dann war da noch der Weg vom Fraktionsvorsitzenden – also der politischen Arbeit – in dieses Rathaus, in die Verwaltung, in der ich zwei Jahre ein sehr dynamisches Ressort leitete. Ohne diese Erfahrungen hätte ich mich nicht um das Amt des Oberbürgermeisters beworben.
Sie kommen aus einer sportbegeisterten Familie. Bleibt noch Zeit, selbst Sport zu treiben oder am Wochenende die Kinder beim Vereinssport anzufeuern?
Ich freue mich natürlich, dass meine Kinder sportlich aktiv sind, und versuche, so oft wie möglich bei Wettkämpfen dabei zu sein. Da bin ich dann einfach nur Papa, der mitfiebert. Am letzten Wochenende sind wir mal wieder alle gemeinsam gelaufen, das ist schön. Die Partnerstädte haben inzwischen mitbekommen, dass es in Potsdam so einen laufverrückten Bürgermeister gibt. Da ich bereits einmal einen Halbmarathon in Luzern lief, kommen nun die verschiedensten Einladungen. Ich versuche ein- bis zweimal wöchentlich als Ausgleich zu laufen.
Oberbürgermeister Mike Schubert
• Mittlere Reife 1989 in Potsdam
• Ausbildung zum Industrieelektroniker, GRW GmbH Teltow
• Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel, Hertie GmbH Berlin, Abschluss: Kaufmann im Einzelhandel
• 1994–1996 Freiberuflicher Versicherungsvertreter
• 1996 arbeitssuchend
• Studium der Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften an der Universität Potsdam, Abschluss: Diplom
• Seit 1995 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und in verschiedenen Funktionen tätig, so von 2005
bis 2016 Fraktionsvorsitzender der SPD-Stadtfraktion Potsdam
• 1997–2004 Befristete Arbeitsverhältnisse während des Studiums u. a. als Abgeordneten-Mitarbeiter; Reservist im Auslandseinsatz
der Bundeswehr, im Rahmen des KFOR Einsatzes im Kosovo
• 2009–2011 Leiter Ministerbüro Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg
• 2016–2018 Beigeordneter für Soziales, Jugend, Gesundheit und Ordnung der Landeshauptstadt Potsdam.
Ausführlich unter: www.potsdam.de/oberbuergermeister-mike-schubert