Anfang der 60er bis ende der 80er – Jahre großer deutscher Automobildesigner.
Unsere (Konsum-)Welt hält mehr Auswahl bereit denn je. Hatten wir vor 35 Jahren etwa nur ein TV-Angebot von ARD, ZDF und den „Dritten“, können wir heute über 100 TV-Stationen empfangen. Der Kunde ist König der Auswahl – in einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Gesellschaft.
Und dies gilt ganz besonders auch beim Gang ins Auto-Haus oder zum Internet- Händler, wo eine unübersehbare Flut von Modellen verschiedenster Klassen lockt. Hatte zum Beispiel Audi Anfang der 80er-Jahre im Wesentlichen zwei Modellreihen, gibt es heute allein vier SUV-Angebote. Umso schwieriger ist ein Über- und Durchblick, was es gibt und wie es gestaltet ist.
Wenige Modellreihen, über eine längere Produktionszeit gebaut – wie einst –, prägen sich anders bzw. viel einfacher ein als eine Flut von Modellen in viel häufigerem Wechsel. Und so versucht das Autodesign heute, sich über Effekte in Blech, Glas und Kunststoff, über einen aggressiven, oft distanzierenden bis zum martialischen Auftritt zu differenzieren. Aber tragischerweise wird oft das Gegenteil erreicht, gerade weil zu viele im Design auf Dasselbe setzen: kutschengroße Reifen selbst für Kleinwagen, Attrappen wie große Auspuffblenden ohne Funktion, Sehschlitze statt Scheiben, „böser“ Blick beim Lampendesign und Türme und Berge von Falten und Sicken, die im Nirgendwo enden, ohne jede Funktion.
Das alles hat die gestalterische Grundsätze einer klareren Zeit verlassen, in der Kompaktheit, Sinnhaftigkeit von Form, Nachhaltigkeit, Transparenz und sparsamer Umgang mit Blech die Kriterien waren – Kriterien, die sich mit Namen außerordentlicher Gestalter verbinden, die die Straßenbilder prägten.
Dazu gehört etwa Giorgio Guigoro – Vater eines der wichtigsten Konzeptwechsel, der auch ein Designwechsel war: VW war Anfang der 70er-Jahre mit dem immer weiter ausgereizten Heckmotorkonzept in eine existenzielle Krise gekommen. Audi-Technik half bei der radikalen Umstellung auf moderne Fronttriebler, unterstützt von einem klaren, minimalistischen Design vor allem von Golf und Scirocco 1. Mit dem Radstand des Käfers bei rund 50 Zentimeter weniger Außenlänge bot ein Golf mehr Platz, war leichter und verbrauchte weniger. Die von VW etwas veränderte Grundgestalt lieferte der junge Giorgio Giugari. Wie gut dieser Entwurf war, zeigt sich in der Gültigkeit des über sieben Generationen fortgesetzten scharf geschnittenen Golf-Profils – ohne Schnörkel, mit einer breiten C-Säule. Heute ist der Golf 7 über 60 Zentimeter länger und 20 Zentimeter breiter, aber folgt anders als alle seine Konkurrenten diesem Konzept.
Ähnlich treu bleibt sich nun schon über 50 Jahre die Gestalt des Porsche 911. Der Enkel des Firmengründers Ferdinand Porsche, Ferdinand Alexander, genannt Butzi, hatte den Jahrhundertentwurf geliefert, stehende Rundscheinwerfer mit prominenten Kotflügeln („Torpedorohre“), schon von der A-Säule an abfallendes Dach, tiefes Heck – so malen Kinder noch heute Sportwagen, und wenn auch der aktuelle 911er ein vor allem sehr viel breiteres Auto geworden ist – das Grundmuster entspricht immer noch „Butzis“ zierlichem Original von 1963. Und Porsche hatte später das Glück, mit Anatol Lapine einen Modernisierer gefunden zu haben, der mit dem Porsche 928, der vor 40 Jahren vorgestellt wurde, mindestens zwei Jahrzehnte seiner Zeit voraus zu sein schien. Zugleich evolutionierte er den 911 mit dem „993“ von 1993 spürbar, ohne dessen Klarheit zu verwässern.
Auch Opel und Ford trugen mit wegweisenden Entwürfen zur gestalterischen Evolution bei. In auffallender Klarheit und italienischer Leichtigkeit gestaltete Chuck Jordan den Opel Rekord (D) von 1972 – eine Linie, die Opel mit jedem weiteren Modell wie Kadett C, Ascona und Manta B immer ein Stück weiterentwickelte – moderne Familienähnlichkeit.
Uwe Bahnsen brachte Ford zur „Linie der Vernunft“ mit seiner „Badewanne“, dem Ford 17M von 1960 – radikale Abkehr von Schnörkeln und Zierrat mit klarer Funktionalität. Diese Linie sollte Ford erst mal 1967 mit dem Nach-Nachfolger P 7 wieder verlassen. Auf Bahnsen geht 20 Jahre später noch einmal ein großer Wurf zurück – der schnörkellose, futuristische Sierra von 1982, der den neuen Citroen BX aus demselben Jahr alt aussehen ließ.
Noch radikaler seiner Zeit voraus war wohl Klaus Luthe mit seinem RO 80 von 1967, der damit sehr viel Einfluss auf viele andere Autotypen nahm – bis etwa zum Audi A6 (C5) von Peter Schreyer, der mit diesem Fahrzeug 1997 eine Skulptur („sculpture design“) ablieferte. Klaus Luthe katapultierte den Zweirad- und Kleinwagenhersteller NSU auf einen anderen stilistischen Stern. Seine gestalterische Qualität kam dann zwei Jahrzehnte später BMW zugute. Aus einer Design-Sackgasse des Immergleichen half er BMW mit dem 1986 vorgestellten zweiten 7er und 1987 dem 5er BMW.
Anderthalb Jahrzehnte zuvor hatte BMW seine Formensprache durch Paul Braqc geschliffen – einen von Mercedes kommenden Gestalter, der die Elemente „Niere“ und „Hofmeister- Knicks“ (gegenläufige Linie an der C-Säule) weiterentwickelte und die wunderbar schlichten, schlanken und sportlichen ersten 3er und 5er gestaltete. 2001 schockte der Amerikaner Chris Bangle mit dem neuen 7er BMW, der mit zentralen Werten der BMW-Gestaltung wie dem Fahrer-orientieren Cockpit, der schlanken Silhoutte etc. brach, letztlich aber dem BMW-Design für die kommenden Jahre neue Spielräume eröffnete.
Noch einmal zurück zu Paul Braqc und seinen Monumenten des Automobil-Designs, die er schon in den 60ern mit den Mercedes-Entwürfen SL (Pagode) von 1963, der ersten „richtigen“ S-Klasse W 108 von 1965 und den W114/15 („Strich 8“ genannten) Mercedes 200 bis 280 E von 1968 geschaffen hatte – feine, logische, schlanke Formen – in der Architektur wohl mit „zwischen Jugendstil und Bauhaus“ beschrieben.
Mercedes hatte das Glück, dann ab Mitte der 70er-Jahre mit Bruno Sacco einen Gestalter ähnlichen Kalibers zu finden. Er schuf mit der S-Klasse (W 126) von 1979 (bis 1991) die wohl schönste Mercedes-Limousine der Nachkriegszeit, die die Eigenschaften von Mercedes wie Funktionalität, Seriosität und Zeitlosigkeit vor allem mit Modernität verband. Der W 126 hatte trotz wenig Chroms und einer Kunststoff- Beplankung (wie sie sieben Jahre zuvor der 1972 vorgestellte R 5 aufwies) eine Gravität, die ihn zehn Jahre moderner als alle Konkurrenten aussehen ließ. Dies gilt auch für weitere Sacco-Entwürfe wie den 190 E von 1982 und den SL (R 129) von 1989. Alle diese Modelle wurden länger als zehn Jahre gebaut – ganz entgegen dem heutigen Design- Zeitgeist, der ganz besonders auch über Mercedes gekommen scheint – wobei Modelle wie die aktuelle E-Klasse mit mehr Ruhe wieder Anlass zur Hoffnung geben.