„Richtige Männer tragen Bärte“, sagt Markus Brüchner vom Barbershop BEARDY BOYS, während er einem Enddreißiger den Vollbart akkurat ausrasiert. Markus lernte erst Automechaniker und dann Friseur …
In der Ausbildung übte er Rasieren an Luftballons. Die letzten vier Jahre war er als mobiler Barbier in Berlin unterwegs. Sylvio-Alexander Kölbel, sein Chef, schäumt am Platz nebenan einen gestandenen Fünfziger ein. Ein dritter Kunde lümmelt lässig im schwarzen Ledersofa, ein kleines Glas Irish Whisky in der Hand. Mittagszeit in Prenzlauer Berg. Friseurmeister Kölbel, der seine Lehre vor 30 Jahren in Sachsen absolvierte, führt seit 12 Jahren den Salon „Kopfgeldjäger“ direkt nebenan. Sein neues Refugium für Männer – nur durch eine Glastür getrennt – eröffnete er Anfang 2015. Kundschaft war von Anfang an da. Viele Männer müssen sogar weggeschickt werden, weil die Barbiere gar nicht hinterher kommen. Ein Glück, dass bald ein dritter Mann zum Probearbeiten kommt. Logisch, dass die beiden selbst auch Bart tragen.
In Berlin trägt jeder Dritte einen Bart
Marco Polensky von der Friseur-Innung spricht von einem Drittel aller Männer in Berlin, die einen Bart tragen. Ist man unter jungen Leuten oder unterwegs in den angesagten Stadtvierteln, trägt mindestens jeder zweite Kerl Bart, Tendenz steigend. Ein Massenphänomen. Nur rund 300 Friseure in Berlin kümmern sich um Bärte in der 3,5-Millionen-Stadt, schätzt er, darunter viele mit türkischer oder arabischer Herkunft. Lange Zeit waren sie die Einzigen, bei denen man sich den Bart stutzen lassen konnte, das Entfernen von Ohr- und Nasenhaaren inklusive. Heute ist das anders, mit verstärktem Bartaufkommen wenden sich immer mehr dem Thema zu. Im Kreuzberger Salon BRUNETTE rücken die Friseurmeister André Staak und Henry Lemke, die seit 20 Jahren selbst Bart tragen, neben dem Haupthaar auch den Vollbärten und Schnauzern ihrer Kunden zu Leibe. Seltenst geht es um eine Totalrasur, stattdessen wird getrimmt und in Form geschnitten. Sind die BEARDY BOYS besonders für den „Mann von der Straße, ehrliche Jungs, schräge Vögel, Rock‘n‘Roller und Biker, aber auch gesetzte Männer“ da, kommen zu BRUNETTE vor allem „gut ausgebildete Männer in den besten Jahren, darunter DJs, Grafiker und Schauspieler“.
Zuerst kamen die Schwulen, die Skater und die Surfer
Wo und wie begann dieser aktuelle Trend zum Bart? Marco Polensky vermutet, dass es etwas mit den gesellschaftlichen Veränderungen und Emanzipationsbewegungen zu tun hat. In der 68er Zeit wuchsen die Bärte, und heute, wenn von der Frauenquote in Politik und Wirtschaft die Rede ist, unterstreichen die Kerle mit Bärten ihre Männlichkeit. „Es begann bei den Schwulen und war schon lange in der Szene der Skater und Surfer in“, so André Staak. „Es ist ein Lifestyle, eine Lebenseinstellung ähnlich wie Tattoos.“ Seiner Meinung nach sind die „High Fashion Guys“ derzeit schon wieder glatt. Das sehen die BEARDY BOYS ähnlich: „Der ganz große Bart-Hype ist überschritten“, meint Markus Brüchner. Bärte sind voll im Alltag angekommen.
Kleine Typenanalyse:
Welcher Bart passt zu wem?
„Ein Vollbart kann strecken und ein schmales Gesicht breiter machen. Wichtig ist, dass er dicht ist und Kontur hat. Bei Oberlippenbärten gilt dasselbe. Wenn man ausschaut wie ein Waldschrat, dann ist etwas schief gelaufen“, lacht André Staak. „Ein Kinnbart lässt ein breites Gesicht schmaler wirken und kann ein Doppelkinn oder ein fliehendes Kinn kaschieren“, ergänzt Marco Polensky. Außerdem eignet sich ein Bart wunderbar dazu, Hautunreinheiten oder Brandmale zu verdecken. Die Geschichte kennt Bärte bereits seit der Pharaonenzeit. Oft galten sie als Zeichen der Herrscherwürde. Nach Kaiser Wilhelm wurde gar eine Bartform benannt. In der deutschen Friseurausbildung werden Rasieren und Bartpflege stiefmütterlich behandelt, berichten die Inhaber von BRUNETTE. „Bartpflege ist nur theoretisch ein Thema in der Ausbildung. Besser, man besucht direkt eine School of Barbering, z. B. in London.“ Laut Marco Polensky kann die Branche nicht so schnell reagieren, den Bart-Trend gäbe es erst seit fünf, sechs Jahren. Rasur und Bartpflege als „zusätzliche Dienstleistung des Friseurs“ waren bis Anfang der Achtzigerjahre Teil der Friseurausbildung und verschwanden danach. Im Mittelalter bekam der Beruf des Baders, der auch rasierte und die Kopfhaare schnitt, einen zweifelhaften Ruf, weil in den Badestuben auch erotische Handlungen stattfanden. Erst der Reichstag zu Augsburg 1548 wertete den Berufsstand als Handwerk auf, die Zunft der Bader und Barbiere wurde gegründet. Es gab neben Badern auch Feldschere, die sowohl Haare schnitten und rasierten als auch Zähne zogen. Bis in die 1930er-Jahre war Friseur übrigens – ähnlich wie Kellner – ein reiner Männerberuf. Erst durch die kriegsbedingte Abwesenheit der Männer mussten und durften die Frauen ’ran.
Wie pflegt man seinen Bart professionell?
„Mit Bart-Shampoo, Bart-Conditioner, Bart-Öl, und wichtig ist die Bart-Bürste“, so André Staak. Oder man macht einen Termin im Barbershop. Bei den BEARDY BOYS kostet das Rundum-Sorglos-Paket mit Haar- und Bartschnitt 49 Euro. Öle und weitere Pflegemittel gibt‘s auch zu kaufen für die Pflege zu Hause. Der perfekte Liebhaber trägt übrigens Bart, ergab die Untersuchung der Online-Partnervermittlung Victoria Milan. Danach bevorzugt eine von vier Frauen (26 Prozent) bei der „Nr. 1 für diskrete Affären“ einen bärtigen Partner. Laut Firmengründer Sigurd Vedal soll die Affäre oft genau das Gegenteil des aktuellen Partners sein. Stimmt das, dann haben 74 Prozent der Männer also bereits einen Bart? Oder ist da noch Luft nach oben?
Hier kommt der Bart ab:
· BEARDY BOYS BARBERSHOP Gethsemanestraße 1
· BRUNETTE BERLIN Tempelhofer Ufer 22
· Haartari Friseure Bänschstraße 52
· Barber‘s Zillestraße 79
· Wheadon Steinstraße 17
von Gerald Backhaus