Auf ein Wort mit Richard Williams, künstlerischer Leiter des Jazzfests Berlin
Das Jazzfest Berlin ist – eingebunden in die Berliner Festspiele – der krönende Abschluss eines jeden Jazzjahres. Mit Künstlern aus 30 Nationen ging es 2015 nun in das zweite halbe Jahrhundert seines Bestehens. Premiere als neuer künstlerischer Leiter hatte der 1947 in Sheffield geborene britische Journalist Richard Williams, der Bert Noglik ablöste. Nach dem Jazzfest ist vor dem Jazzfest – wir fragten Richard Williams zum vergangenen Festival und zu seinen Plänen für 2016, zur Berliner Jazz-Szene und dazu, welche Ecken er in Berlin besonders mag.
Was war für Sie als Chef des Berliner Jazzfests das Schönste daran, ein solches Festival zu leiten? Mir hat vieles großen Spaß gemacht, und ich habe mich sehr darüber gefreut, dass das wundervolle Produktions- und Technikteam im Haus der Berliner Festspiele über so große Fähigkeiten verfügt. Am meisten aber hat mir die Musik gefallen, die wir im Rahmen des Festivals gehört haben. Jeder einzelne Musiker hat wundervoll gespielt, und das Publikum hat entsprechend begeistert reagiert.
Gab es auch Dinge, die Sie sich vorher ganz anders vorgestellt hatten? Ich weiß, dass das Berliner Publikum sehr kritisch und kompromisslos sein kann. Deshalb habe ich mich besonders darüber gefreut, dass es sich das Splitter Orchester und den Diwan der Kontinente – zwei ganz besondere Projekte, die ambitionierte, ja vielleicht sogar riskante Musik bieten – mit großer Wertschätzung und Begeisterung angehört hat.
Was wird beim Jazzfest 2016 anders? Auch bei der Programmplanung für 2016 werde ich mich von der Idee leiten lassen, die beim Publikum auf so positive Resonanz gestoßen ist: das Festival nämlich nicht als Museum für alte Ideen zu nutzen, sondern als Schaufenster für die feste Überzeugung, dass Jazz eine lebendige Kunstform ist, die sich kontinuierlich weiterentwickelt. Anders als in diesem Jahr werden wir aber vermutlich ein Jubiläum mit einbauen … Sie dürfen gern raten, um welches es sich handeln könnte! Ich bin fest entschlossen, im nächsten Jahr wesentlich mehr Frauen auf die Bühne zu holen, nicht nur als Sängerinnen, sondern auch als Instrumentalistinnen und Bandleaderinnen. Und ich werde auch weiterhin die Politik vorantreiben, die junge kreative Berliner Musikerszene, die man vor allem in Kreuzberg oder Prenzlauer Berg findet, stärker ins Festival mit einzubeziehen. Auch im nächsten Jahr wollen wir Brücken bauen.
Wie würden Sie die Musik- und speziell die Jazz-Szene von Berlin beschreiben? Junge Jazzmusiker haben es in keiner Stadt der Welt leicht, aber in Berlin – wie auch in London oder New York – hält sie das nicht davon ab, als Solokünstler oder Mitglied einer Band aufregende Musik zu machen. Neulich habe ich in London ein internationales Quartett gehört, zu dem auch zwei meiner jungen Lieblingsjazzmusiker aus Deutschland gehören: der Altsaxofonist Wanja Slavin und der Schlagzeuger Christian Lillinger, die beide in Berlin leben.
Sie waren früher selbst Musiker. Was haben Sie da so gespielt? R & B – im klassischen Sinn! Anders gesagt, Songs von Howlin‘ Wolf, Chuck Berry, Jimmy Reed, Bo Diddley, John Lee Hooker und so weiter. Das war 1964/65, als viele englische Bands, wie z. B. die Rolling Stones, Them, die Yardbirds, ähnliches machten. Damals haben wir alle die Sprache der afroamerikanischen Musik gelernt.
Wie sind Sie dann zum Journalismus gekommen? Ich habe die Schule mit 17 abgebrochen und dann erst einmal anderthalb Jahre in einer Band gespielt. Aber der Beruf des Journalisten hat mich immer gereizt, und mir ist es gelungen, bei der Tageszeitung meiner Heimatstadt Nottingham einen Job als Reporter zu ergattern. Von 18 bis 22 habe ich dort die Grundlagen des Journalismus gelernt.
… und zum Jazz? Mit 12 oder 13 habe ich angefangen, Jazz zu hören. Ich spielte verschiedene Instrumente und erkannte, dass Jazzmusiker die interessantesten Methoden entwickelt hatten, ein Instrument zu spielen. Deshalb habe ich mir ganz schnell alles, was ich zur Geschichte dieser Musik finden konnte, angeeignet – außerdem war ich fasziniert von den neuen Entwicklungen, die damals stattfanden, angeführt von Leuten wie John Coltrane, Ornette Coleman und Cecil Taylor. Mir hat die Vorstellung von Jazz als einer Musik, die permanent forscht und sich kontinuierlich weiterentwickelt, sehr gut gefallen. „Neu“ muss nicht unbedingt auch „besser“ bedeuten, aber das Gefühl der ständigen Innovation ist von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil von Jazz gewesen.
Nach einem Intermezzo bei der Plattenfirma Island Records wechselten Sie zurück zur Presse und wurden vom Musikjournalist zum Sportredakteur. Klingt ungewöhnlich. Wie kam es dazu? Das war so: Ab Mitte der 1970er-Jahre schrieb ich zwar noch über Musik, war aber hauptsächlich als Redakteur tätig: bei Time Out, dann bei der Times und schließlich beim Independent on Sunday. 1992 wurde einer der Sportreporter vom Independent überraschend krank und musste seine Reise zu den Olympischen Spielen in Barcelona in letzter Minute absagen. Da alle wussten, dass ich ein ebenso begeisterter Sport wie Musikfan bin, fragte man mich, ob ich für ihn einspringen könnte. Natürlich sagte ich Ja, und im Verlauf der nächsten 14 Tage wurde mir klar, wie gern ich über Sport schreibe – so gern, dass ich nach meiner Rückkehr erklärte, nur noch über Sport schreiben zu wollen. Und das habe ich die nächsten 20 Jahre mit Begeisterung getan, zunächst für den Independent, dann für den Guardian, abgesehen von einer einjährigen Unterbrechung, in der ich als Filmkritiker für den Guardian gearbeitet habe.
Sie leben in London und sind eine Art Teilzeit-Berliner. Welche Ecken der Stadt mögen Sie besonders, und wo essen Sie hier gern? Ich bin noch dabei, Berlin zu entdecken. Momentan kenne ich mich am besten in Wilmersdorf und Charlottenburg aus, in den Lokalen in der Nähe des Hauses der Festspiele. Kaffee trinke ich morgens am liebsten im Manzini in der Ludwigkirchstraße, mittags oder abends esse ich gern im Diekmann in der Meinekestraße, mit Freunden gehe ich abends auf einen Drink ins Zwiebelfisch in der Grolmannstraße oder zum Musikhören ins A-Trane in der Pestalozzistraße oder ins b-flat in der Rosenthaler Straße.