Die dunkle Jahreszeit hat Einzug gehalten, meistens steigt dann auch die Kriminalitätsrate an. Um nicht zum wehrlosen Opfer körperlicher Gewalt zu werden, lassen sich Vorkehrungen treffen. Und genau das findet an der Rheinstraße 45/46 im zweiten Stock, Aufgang B, bei Strike First Krav Maga statt. Selbstverteidigung lautet das Stichwort – immer montags von 19 bis 20:30 Uhr lädt Lars van Schaik hier zum Basics-Kurs.
An diesem frühen Abend haben sich vier Männer, eine Frau und zwei junge Mädchen eingefunden. Sigrid Klenert ist mit ihrem Partner Sylvio König schon länger dabei. „Die reale Welt da draußen wird ja nicht freundlicher, sondern die Bedrohungen nehmen zu. Solchen Situationen will ich nicht ausweglos gegenüberstehen“, erzählt die 41-Jährige.
Krav Maga – was ist das überhaupt? Der Ursprung liegt in Israel, aus dem Hebräischen übersetzt heißt der Begriff Kontaktkampf und bezeichnet ein leicht zu lernendes, taktisches Selbstverteidigungssystem. Es ist kein Sport, denn hier wird bewusst auf Regeln verzichtet, deren Befolgung man bei realen Übergriffen auch nicht erwarten kann. Gleichzeitig findet man im Krav Maga viel Technik, beispielsweise aus dem Kickboxen. Ziel ist es, einfache, auf intuitiven Reaktionen aufbauende Techniken zu vermitteln, die unter Stress schnell angewandt werden können, um Übergriffe – egal ob bewaffnete oder unbewaffnete – auf die eigene oder dritte Personen abzuwehren. Die Techniken bauen aufeinander auf, um die Anwendbarkeit zu vereinfachen. Krav Maga zeichnet sich durch Realitätsnähe aus. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf das Trainieren unter starker körperlicher Anstrengung als Simulation der Stressbelastung eines Übergriffs, sowie das Training in gestellten Szenarios gelegt. Als „Erfinder“ des Krav Maga gilt Imrich „Imi“ Lichtenfeld, der 1910 in Budapest geboren wurde, in Bratislava aufwuchs und ein erfolgreicher Boxer und Ringer war. Anfang der 1940er Jahre floh er mit seiner Familie vor den Nazis nach Palästina. Mit der Staatsgründung Israels 1948 wurde er zum Chefausbilder für körperliche Fitness und Krav Maga der IDF. Während seiner 20-jährigen Tätigkeit verfeinerte er die Methoden und machte Krav Maga zum offiziellen Kampftraining für alle Militärangehörigen, Polizisten und Sicherheitskräfte in Israel. Heute wird Krav Maga weltweit als effektives Selbstverteidigungssystem unterrichtet. Die International Krav Maga Federation (IKMF) ist die weltweit größte Krav-Maga-Organisation, hat ihren Hauptsitz in Netanya, Israel. Seit 2002 ist die IKMF auch in Deutschland aktiv, zurzeit wird an 40 Standorten Training angeboten.
„Es geht um Empowerment,
auch darum, Gefahrensituationen zu erkennen
und auf den inneren Alarm zu hören.“Lars van Schaik von „Strike First Krav Maga“
Als Lars van Schaik Wind von diesem System bekam, war es um ihn geschehen. „Ich war sofort Feuer und Flamme“, sagt der gebürtige Zehlendorfer. Schon nach zwei Jahren wurde er „Instructor“; in diesem Jahr hat er in Israel die IKMF-Prüfungen für das Level Expert 3 abgelegt – was dem 3. Schwarzen Gürtel in fernöstlichen Kampfsportkünsten entspricht. Damit gehört der 42-Jährige zu den top ausgebildeten Krav-Maga-Trainern in Deutschland. Seine Haupteinnahmequelle liegt zwar im IT-Bereich, seine Liebe aber gilt dem Krav Maga. Der staatlich geprüfte Heilpraktiker für Psychotherapie war 2017 Mitbegründer eines Vereins in Potsdam, im Mai 2022 startete er Strike First am Gardeschützenweg in Lichterfelde, seit dem Frühjahr dieses Jahres bietet er Kurse auch an der Rheinstraße in Friedenau an. Etwa die Hälfte seiner Klientel ist weiblich. Am 7. September startete ein reiner Frauenkurs mit 15 jeweils eine Stunde dauernden Einheiten. „Stay away nur für Frauen“ nennt sich das Angebot, und Lars van Schaik ist von der Notwendigkeit überzeugt. „Wenn ich bei Seminaren frage, wer schon einmal sexuelle Belästigung erlebt hat, heben von 20 Frauen vielleicht zwei oder drei nicht die Hand“, sagt der Instructor. „Es geht um Empowerment, auch darum, Gefahrensituationen zu erkennen und auf den inneren Alarm zu hören.“
Zurück zum Basics-Kurs. Das Training ist hart aber herzlich, Lars van Schaik ist auch in seiner Wortwahl nicht zimperlich. Da ist durchaus schon mal von „Fresse polieren“ die Rede, doch so geht es auf der Straße eben auch oft zu. „Heute haben wir einen Kessel Buntes, einsteigerfreundlich“, startet van Schaik den Kurs. Zum Aufwärmen gibt’s verschiedene Bewegungsformen. Bär, Ente, Frosch – schon sind die ersten Schweißperlen auf der Stirn. Dann werden Bedrohungsszenarien exerziert, teils mit, teils ohne Pratzen, die soften Techniken noch ohne Mundschutz, die harten mit – wie beim Boxen. Die sieben Teilnehmenden nehmen eine Menge mit. „Normalerweise steuern die Gedanken den Körper, aber hier ist es anders, hier reinigt der Körper die Seele“, sagt Sylvio König.