Sie befinden sich in der zweiten Lebenshälfte und Ihr Vermögen steckt vorwiegend in Immobilien. Was Sie finanziell im Ruhestand monatlich so zur Verfügung haben, wird nicht allzu üppig ausfallen. Deshalb Ihr Haus oder Ihre Wohnung zu verkaufen und sich zu verkleinern, kommt nicht in Frage. Eine Immobilienverrentung wäre da der Tipp der Stunde.
In dem Film „My Old Lady – Eine Erbschaft in Paris“ von 2014 reist der Amerikaner Mathias, der von seinem Vater eine Wohnung mitten in Paris geerbt hat, an die Seine. Er möchte die Immobilie schnell verkaufen, um an das ersehnte Geld dafür zu kommen. Doch schaut er dumm aus der Wäsche, denn die Wohnung wird von einer über neunzigjährigen Dame und ihrer Tochter bewohnt. Die alte Dame, gespielt von Maggie Smith, genießt ein lebenslanges Wohnrecht. Und nicht nur das, außerdem steht ihr eine vertraglich festgelegte monatliche Rente zu, für die ab jetzt Mathias aufzukommen hat. Er kennt ein solches Konstrukt nicht, dass in Frankreich „viager“ genannt wird, was in altem Französisch so viel wie Lebenszeit bedeutet. Auch Charles de Gaulle soll sein Haus in Colombey-les-Deux-Églises auf diese Weise erworben haben.
Einen alten Baum verpflanzt man nicht
Sie besitzen also eine selbstgenutzte Wohnung oder ein Eigenheim, verkaufen diese Immobilie und haben trotzdem das Recht, solange darin weiter zu wohnen, wie es Ihnen beliebt. Dazu gibt es eine Leibrente. Klingt wunderbar. Geht nicht? Geht schon. Das in Frankreich etablierte „viager“ ist eine durchaus interessante Alternative zum konventionellen Immobilienverkauf und -kauf, bislang in Deutschland aber ein weitgehend unbekanntes Phänomen. Noch. Kürzlich gab es Ideen zur Rente ab 68 Jahren und viele fragen sich, wie viel Geld sie im Alter zur Verfügung haben werden. Hinzu kommt der Fakt, dass etwa ein Drittel der Deutschen im Alter über 50 Jahre drei Viertel des Vermögens in Immobilien gebunden hat. Das bedeutet viel Vermögen pro Person, aber unter Umständen wenig liquide Mittel für den gewohnten Lebensstil. Das ist eine Diskrepanz. Hinzu kommt, dass man einen alten Baum bekanntermaßen lieber nicht verpflanzt. Immobilienverrentung setzt genau an diesen Punkten an. Was den etwas sperrigen Namen trägt, ist gerade dabei, sich auch hierzulande zu etablieren. Zentraler Punkt dabei ist es, dass der Käufer dem Verkäufer ein Wohnrecht auf Lebenszeit oder bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einräumt. Da wären wir schon mittendrin bei den verschiedenen DEGIV als Pionier in Sachen Immobilienverrentung
Özgün Imren gehört mit seiner 2015 gegründeten Gesellschaft für Immobilienverrentung (DEGIV) zu den Vorreitern auf diesem Gebiet. Der Experte unterscheidet mehrere Modelle. Mit Abstand am häufigsten wird bei der DEGIV der Verkauf des eigenen Hauses oder der Eigentumswohnung mit Nießbrauch vermittelt. Man bleibt also weiterhin in seiner Immobilie wohnen, und zwar mietfrei. Wer einen Nießbrauch auf eine Immobilie hat, kann die Immobilie so lang nutzen, bis der Nießbrauch endet. Üblicherweise wird Nießbrauch bis zum Lebensende vereinbart. Doch auch wenn man auszieht, vielleicht weil man in ein altersgerechtes Wohnobjekt wechseln möchte, kann man weiter aus dem verkauften Haus Nutzen ziehen. Die Immobilie gehört dann zwar einer anderen Person, also dem Käufer, doch kann der Nießbrauchinhaber das Objekt bei eigenem Auszug in Eigenregie vermieten oder verpachten. Der Nießbrauch endet üblicherweise mit dem Tod.
Nießbrauch: Wohnrecht auch bei Weiterverkauf
Dieses Konstrukt mit lebenslangem Wohnrecht berechtigt dazu, eine Immobilie unbefristet bis ans Lebensende zu bewohnen. Es wird beim Verkauf der Immobilie in einem notariellen Kauf- oder Schenkungsvertrag dokumentiert und im Normalfall an erstem Rang im Grundbuch eingetragen. Damit kann sich der Verkäufer und ehemalige Eigentümer sicher sein, weil aus diesem Grundbucheintrag resultiert, dass der Nießbrauch seitens des Verkäufers unkündbar ist. Damit ist sichergestellt, dass das lebenslange Wohnrecht auch bei einem etwaigen Verkauf des Objekts an Dritte bestehen bleibt, also wenn der neue Eigentümer das Haus weiterveräußert, z.B. weil er in eine wirtschaftliche Schieflage geraten ist. Ein Weiterverkauf ändert nichts an der Tatsache, dass das Nieß brauchrecht auch in der dann neuen Konstellation unangetastet bleibt. Erben schauen in die Röhre, denn das Nießbrauchrecht kann – von Ausnahmen wie dem nachrangigen Nießbrauch abgesehen – nicht an Dritte übertragen werden und auch nicht vererbt werden. Man sollte zudem wissen, dass das Ende des Nießbrauchs nicht auf ein konkretes Datum festgelegt ist, stattdessen auf ein Ereignis: den Tod des Nießbrauchers. Tritt er ein, endet der Nießbrauch und wird auch im Grundbuch gelöscht. Das Objekt geht damit komplett an den neuen Eigentümer über.
Verantwortlich für die Instandhaltung der Immobilie
Wird man vom ehemaligen Eigentümer zum nutzungsberechtigen Bewohner seines Eigenheims oder seiner Wohnung durch Immobilienverrentung mit eingetragenem Nießbrauch, wird man also zum nutzungsberechtigen Bewohner. Der Hauskäufer wird zum Eigentümer und Nießbrauchgeber. Man kann das mit einem normalen Mieter-/Vermieterverhältnis vergleichen. Der Bewohner ist verpflichtet, das Objekt im üblichen Rahmen selbst instand zu halten, d.h. dass kleinere Reparaturen weiterhin eigenständig vorgenommen oder beauftragt werden. Praktisch bedeutet das, dass man sein Haus, auch wenn es jetzt einer anderen Person gehört, weiter erhalten, ordnungsmäßig bewirtschaften und auch versichern muss. Bei kostenintensiven Reparaturen oder nichtversicherten Schäden, muss man – wie bei einem Mietverhältnis – den neuen Eigentümer darüber informieren. Werden keine abweichenden Regelungen getroffen, übernimmt der Nießbrauchnehmer die üblichen Kosten wie Gebäudeversicherung, Grundsteuer sowie die üblichen Verbrauchskosten wie die Müllentsorgung und Energiekosten. Größere Posten wie die Instandsetzung des Daches oder eine Erneuerung einer Zähleranlage hingegen nicht. Dafür ist der juristische Eigentümer bzw. der Nießbrauchgeber zuständig. Hierbei wird folgende Unterscheidung gemacht: Der Käufer bzw. Nießbrauchgeber ist der juristische Eigentümer, während der Verkäufer bzw. Nießbrauchnehmer der wirtschaftliche Eigentümer bleibt.
Leibrente als Alternative
Den Kaufpreis für seine Immobilie bekommt man komplett ausgezahlt. Man kann das Geld z.B. auch in die eigene Pflege oder in einen Sparplan investieren. Der Verkäufer hat damit eine maximale Flexibilität und ist sofort liquide. Für die Ermittlung des Verkaufspreises wird vom Verkehrswert den Nießbrauchwert abgezogen. Eine Alternative dazu ist es, eine Leibrente zu vereinbaren. Bei dieser Lösung erhält der Verkäufer im Gegenzug für seine Immobilie lebenslang eine monatliche Rente und lebenslanges Wohnrecht. Die Höhe der Leibrente ist abhängig vom Alter und Geschlecht sowie dem Verkehrswert der Immobilie. Im Vertrag wird klar geregelt, wer für die Instandhaltung des Hauses verantwortlich ist. Bei der Vertragsgestaltung sollte man aufpassen, was genau man vereinbart. Sonst kann es passieren, dass bei einem möglichen Auszug aus dem Haus oder der Eigentumswohnung in ein Pflegeheim das Wohnrecht erlischt. Ausschließen kann man das, indem ein lebenslanges Wohnrecht im Grundbuch im ersten Rang eingetragen wird.
Nießbrauch oder Leibrente?
Die DEGIV empfiehlt vor allem das Modell des Nießbrauchs, weil es älteren Menschen grundsätzlich mehr Rechte zusichert und sicherer sowie flexibler ist. In manchen Fällen kann allerdings die Leibrente die interessantere Option sein. Empfohlen wird, eine Mindestlaufzeit für die monatliche Rente zu vereinbaren. Dadurch bekommen die Erben diese Rente bis zum Ablauf der Frist ausbezahlt, falls der Verkäufer vorher sterben sollte. Entscheidet man sich für das Modell der Leibrente, sollte man im Vertrag eine Rückfallklausel vereinbaren. Dann erhält der Verkäufer das Eigentum zurück, im Falle, dass der Käufer insolvent wird und die vereinbarte Rente nicht mehr zahlen kann. Die Höhe der Leibrente ist abhängig vom Alter und Geschlecht des Verkäufers. Das Nießbrauchrecht bleibt selbst im Fall einer Zwangsversteigerung bestehen. Damit sichert man sich das Wohnrecht auf jeden Fall – der Grund, weshalb man sich in der Regel überhaupt für eine Verrentung entscheidet. Ein weiterer Vorteil: Bei einem möglichen Auszug ins Pflegeheim lässt sich das Objekt auch vermieten. Auch beim Nießbrauch gilt: Im Vertrag sollte klar geregelt werden, wer für die Instandhaltung der Immobilie verantwortlich ist. Besteht dazu keine Regelung, trifft die Instandhaltungspflicht den Nießbraucher und nicht den neuen Eigentümer.
Abschlagshöhe – ein Rechenbeispiel
Beim Abschlag für Nießbrauch auf Lebenszeit wird für die Kalkulation die Miethöhe zugrunde gelegt, die nach dem aktuellen Mietpreisspiegel hätte erzielt werden können. Dazu wird die durchschnittlich erwartbare Lebensdauer des Verkäufers in Relation gesetzt. Daraus errechnet man den Nießbrauchwert. Ein Rechenbeispiel: Nimmt man eine Monatsmiete von 1.200 Euro an und eine durchschnittliche Alterserwartung des Nießbrauchnehmer von noch 10 Jahren, ergibt das 1.200 Euro x 12 Monate = 14.400 Euro Jahresmiete. Multipliziert mit 10 Jahren, kommt man auf einen Nießbrauchwert von 144.000 Euro. Um diese Summe reduziert sich dann also der reale Verkehrswert der Immobilie. Der verbleibende Rest – von Nebenkosten abgesehen – ist die Kaufsumme, die ausgezahlt wird. Ob als Komplett‑, Tranchen- oder Rentenzahlung, kann man individuell festlegen.
Pflegekosten absichern und Schenkungssteuersparen
Nießbrauch ist sinnvoll, wenn jemand im Alter von über 65 Jahren eine ganz oder teilweise abbezahlte Immobilie besitzt und seine Altersrente aufstocken möchte. Die Besitzer verkaufen ihr Eigenheim oder ihre Eigentumswohnung und sichern sich zugleich per Nieß brauch das lebenslange Wohnrecht im gewohnten Zuhause, das sie keinesfalls verlassen möchten. Auch Pflegekosten lassen sich damit finanziell absichern. Wer die eigenen Kinder nicht mit solchen Zahlungen belasten möchte, kann sein Haus oder seine Wohnung an eine dritte Person vermieten und von diesen regelmäßigen Einnahmen die Heimkosten bestreiten. Durch Nießbrauch kann man den Erben auch die Zahlung von Schenkungs- oder Erbschaftssteuer ersparen. Das geht, in dem man sein Haus zu Lebzeiten z.B. an ein Kind mit eingetragenem Nießbrauch verschenkt. Weil der Nießbrauch den realen Verkehrswert senkt, reduziert sich dadurch auch die Schenkungs- bzw. Erbschaftssteuer.
Nießbrauch „light“ und weitere Modelle
Der Nießbrauch unterscheidet sich vom reinen Wohnrecht, das Özgün Imren auch „Light-Variante“ nennt, in einem wichtigen Punkt. Das Wohnrecht erlischt – im Gegensatz zum Nießbrauch – nicht erst beim Tode, sondern bereits mit dem endgültigen Auszug des Verkäufers aus dem Haus oder der Wohnung. Weitervermieten geht dann also nicht. Weitere Modelle der Immobilienverrentung sind Verkauf mit Rückanmietung, Teilverkauf und Umkehrhypothek. Interessenten sollten verschiedene Varianten gut vergleichen und durch unabhängige Experten prüfen lassen.
Ausschlusskriterien?
Fazit: Grundsätzlich eignet sich die Verrentung von Immobilien besonders gut für Eigentümer ab 65 Jahren, die ihr Eigenheim oder ihre Wohnung nicht vererben wollen oder können, weil sie keine Kinder haben. Interessant ist die Immobilienverrentung auch für diejenigen, die trotz Wohneigentums wenig Altersrente beziehen und im Ruhestand ohne finanzielle Engpässe leben möchten. Ein Ausschlusskriterium für eine Verrentung ist nicht der Wert der Immobilie. Laut Özgün Imren sind auch Objekte unterhalb eines Wertes von 300.000 Euro geeignet. Entscheidend hingegen ist das Alter des Verkäufers: Wer zu jung ist, sollte es sich genau überlegen, weil es dann beim Nießbrauch einen recht hohen Abschlag gibt. Im eingangs erwähnten Filmes arrangiert sich der Käufer sowohl mit der alten Dame, der neben dem Wohnrecht auch eine von ihm gezahlte monatliche Rente zustand, als auch ganz besonders mit ihrer Tochter. Doch das ist ein Film.