Seit Juni ist Dr. Frank Büchner neuer Präsident des Spitzenverbands der Wirtschaft in der Hauptstadtregion. Der promovierte Elektrotechniker arbeitet seit 1991 für die Siemens AG und leitet seit 2014 die Division Energy Management von Siemens Deutschland. Der Konzern hat seinen weltgrößten Fertigungsstandort in Berlin. Wir trafen den ehrenamtlichen Chef der Vereinigung der Unternehmens-Verbände in Berlin und Brandenburg (UVB) im Haus am Schillertheater.
Herr Dr. Büchner, als Präsident sprechen Sie für 60 Verbände verschiedener Branchen und sind damit ein Schwergewicht.
Als Spitzenverband sprechen wir für Unternehmen mit ungefähr einer Million Arbeitsplätzen. Wir vertreten die Mitglieder gegenüber der Politik und sorgen für Investitionsfreiheit, setzen uns dafür ein, dass Unternehmensansiedlungen problemlos erfolgen und Unterstützung bekommen. Als Ganzes haben wir eine kräftige Stimme, die Gehör bekommt. Jeder einzelne Verband hätte allein sicher weniger Chancen, sich einzubringen.
Wenn man z. B. für einen Verband wie die Energiewirtschaft verantwortlich ist, liegt auf der Hand, wofür man sich konkret einsetzt. Ist es nicht schwierig, für 60 Branchenverbände zu sprechen, weil es unterschiedliche Interessen geben kann, die sich teilweise vielleicht sogar widersprechen?
Natürlich gibt es nicht immer eine einheitliche Meinung zu einzelnen Themen, aber es gilt, die Vielfältigkeit und Komplexität der Interessen zusammenzubringen. Was wir gegenüber der Politik vertreten, ist in der Regel für alle Branchen relevant.
Das wären beispielsweise …
… die Infrastruktur, die Fachkräfte-Sicherung, die Startup-Gründerszene zu fördern und zu begleiten und das ganze Thema Verkehrskonzept. Das betrifft alle Branchen. Diese Interessen zu bündeln und mit einer Stimme zu platzieren, ist unsere Aufgabe. Dafür arbeitet hier im Haus eine professionelle Mannschaft, die in allen Fragen den Verbänden und Mitgliedern juristisch und auf andere Art und Weise zur Verfügung steht.
Um welche Themen geht es dabei inhaltlich?
Zum Beispiel um die Tarifpolitik. Wie bereitet man Verhandlungen vor und verdeutlicht gegenüber den Arbeitnehmern seinen Standpunkt. Eine Vorgehensweise, die juristisch begleitet werden kann und vom Prozess her unabhängig von der Branche funktioniert, ist uns wichtig. Wir unterstützen die Wirtschaft beim Umgang mit der digitalen Transformation, bei der Suche nach Gewerbeflächen und auch, wenn es um das Mobilitätsgesetz des Senats über den Verkehr in Berlin geht.
Wie muss man sich das vorstellen?
Da wir wussten, dass das ein aktuelles Thema ist, haben wir es mit unseren Mitgliedsverbänden rückgekoppelt. Diese wiederum haben mit ihren Unternehmen gesprochen und gefragt, was sind eure Prioritäten, was muss in dem Gesetz gewährleistet sein? Dadurch sind wir nun ausgestattet mit Informationen und werden diese aktiv im Sinne der Wirtschaft in den Gesetzgebungsprozess einbringen.
Wo liegt Ihr besonderes Interesse?
Wir finden, dass der Fokus zu stark allein auf dem Fahrradverkehr liegt, und denken, dass man ein integriertes Gesamtverkehrskonzept auch unter Nutzung digitaler Lösungsansätze haben müsste, in dem nicht nur ein Verkehrsträger eine wichtige Rolle spielt, sondern alle. Vor allem muss der Wirtschaftsverkehr gestärkt werden. Er ist für alle Branchen extrem wichtig und nimmt durch das Wachstum der Stadt weiter zu.
Wie positionieren Sie sich zum Thema Flughäfen?
Die Region benötigt einen Flughafen, der den gesamten Bedarf an Passagieren trägt. Das betrifft sowohl die Erreichbarkeit per Auto und Nahverkehr als auch die Transport-Kapazität. Wenn ein Flughafen eröffnet wird, muss er den Bedarf für den Geschäftsverkehr und den privaten Verkehr decken, und das so schnell wie möglich. Das ist unser oberstes Ziel für die Entwicklung der Region.
Was ist mit Tegel?
Das eigentliche Thema ist der BER. Wenn er am Netz wäre und alle erforderlichen Kapazitäten hätte, würde niemand mehr über Tegel reden. Dass der BER funktioniert, groß genug und leistungsfähig genug ist, hat Priorität. Darüber hinaus bietet Tegel die einmalige Möglichkeit, in einer Großstadt einen modernen Stadtteil nach dem Standard des 21. Jahrhunderts zu entwickeln.
Als Präsident, der die Wirtschaft von Berlin und Brandenburg vertritt, haben Sie es mit zwei Landesregierungen zu tun. Das ist sicher nicht einfach.
Wirtschaft und Industrie machen nicht an der Landesgrenze halt. Sie darf für die Entwicklung von Verkehrsströmen, Infrastruktur und anderem kein Hindernis sein. Es stimmt, dass wir zwei politische Adressen haben, und auf diese gehen wir im Gleichklang zu. Wir finden auch in beiden Ländern entsprechendes Gehör.
Natürlich gibt es Länderspezifisches, oder?
Ja klar, der urbane Raum der Großstadt Berlin hat ganz andere Anforderungen als der Strukturwandel in ländlichen Regionen wie der Lausitz. Diesen unterstützen wir vorbereitend mit vertieften Diskussionen etwa über die Einführung einer einheitlichen digitalen Plattform. In der Lausitz geht es u. a. um die Verstromung von Braunkohle, um eine Perspektive der Region als Industriestandort oder um den demographischen Wandel. Viele blicken zuerst in den Speckgürtel von Berlin, aber man darf Regionen wie die Prignitz, die Uckermark oder die Lausitz nicht vergessen. In der Summe stellt die Landesgrenze für uns in der Kommunikation mit der Politik keine Hürde dar.
Hier im Hause wird also länderübergreifend für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum Berlin und Brandenburg gedacht?
Genau. Wir haben vor der Sommerpause etwa die „Allianz der Wirtschaft“ unterschrieben, in der wir uns zusammen mit den Kammern von Industrie, Handel und Handwerk für eine leistungsfähigere Infrastruktur in der Region stark machen. Hier arbeiten die Vertreter der Fläche und der Hauptstadt also Hand in Hand. In vielen Fällen könnte die Kooperation zwischen Berlin und Brandenburg noch enger sein. Daran arbeiten wir.
Gibt es dafür ein konkretes Beispiel?
Nehmen Sie die Digitalisierung der Energiewirtschaft: Wie kann man den großen Energiebedarf auf der geringen Fläche Berlins decken und dabei das in Brandenburg vorhandene Überangebot an erneuerbaren Energien nutzen? Das wurde im Rahmen eines großen Förderprojektes des Bundeswirtschaftsministeriums u. a. von Berlin und Brandenburg angeschoben. Oder im Bereich Infrastruktur: Wie kann man die vorhandenen und bereits nutzbaren Trassen zum und vom Flughafen über digitalisierte Verkehrsflussregelungen sinnvoll online beeinflussen?
Was sagen Sie als Wirtschaftsexperte, wohin die Reise in Berlin und Brandenburg künftig geht?
Wir sind eine prosperierende Region, es gibt eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung, einen großen Zuwachs an jungen Menschen in Berlin und im Umland, wir haben eine sehr große und erfolgreiche Start-up-Szene und eine Industrie, die das nutzt. Es gibt in der Hauptstadtregion viel Potenzial für weiteres Wachstum.
Ob SAP oder VW – Sie spielen darauf an, dass fast jeder größere Konzern inzwischen eine Einheit in Berlin aufgebaut hat, in der in einer Art Laborstatus gemeinsam mit Start-ups Neues entwickelt wird.
Ja, weil hier sowohl das kreative als auch das wirtschaftliche Potenzial vorhanden ist. Außerdem liegt unser Fokus auf der Digitalisierung, und wenn man die Transformation der Industrie in eine 4.0-Epoche betrachtet, ist ein riesiges Potenzial vorhanden. Die Vorteile von Digitalisierung, Jugend und der exzellenten universitären und Hochschulausbildung bieten die besten Voraussetzungen, damit unsere Region ganz vorn dabei ist.
Wird Berlin bald die Stadt mit den meisten Elektroautos und Ladesäulen sein?
Auf diesem Gebiet besteht ja in ganz Deutschland ein großer Nachholbedarf. Die Elektromobilität passt aber gut zu Berlin. Mit einem klaren Konzept – mehr Ladesäulen, mehr E-Autos in öffentlichen Fuhrparks und im Nahverkehr – ist hier noch vieles möglich. Übrigens kann die Elektromobilität auch für Schiffe eine sinnvolle Alternative sein. Wir haben in Berlin und Brandenburg ja viele Wasserstraßen.
Ihre Prognose für Berlin und Brandenburg in zehn bis zwanzig Jahren?
Hier geht die digitale Post ab! Ob das Einstein Center oder das Hasso-Plattner- Institut – durch das Zusammenwirken der Universitäten und Hochschulen mit ihren Gründerzentren, durch die Kooperation von Start-ups und etablierten Konzernen kann die Hauptstadt eine echte Digitalisierungshochburg werden. Das ist eine gewaltige Chance. Voraussetzung dafür ist, dass diese Entwicklung von einer entsprechenden Infrastruktur begleitet wird, mit den nötigen Gigabitund Flugverbindungen.