Die wahren Gastgeber

Stefan Elfenbein – promovierter Politik- und Medienwissenschaften, renommierter Food-Journalist und Jury-Chef der Berliner Meisterköche | Foto: privat

In den 1980er Jahren ging Stefan Elfenbein von Berlin aus nach New York. An der New School for Social Research, an der schon Hannah Arendt lehrte, studierte er Politik- und Medienwissenschaften und promovierte. Heute lebt der renommierte Food-Journalist in Berlin-Kreuzberg und Manhattan. Weltbürger Elfenbein ist gemeinsam mit Tina Hüttl Chef der „Jury Berliner Meisterköche“. Als Restauranttester für „Der Feinschmecker“ ist er in den ganzen USA, in Berlin und in Deutschlands Osten unterwegs.

Die Nominierten stehen fest; jeweils fünf Berliner Highlights in den Kategorien „Berliner Meisterkoch“, „Aufsteiger des Jahres“, „Berliner Gastgeber“, „Berliner Szenerestaurant“, „Berliner Kiezmeister“ und „Berliner Barkultur“. Was macht den Jahrgang 2024 aus?

Jeder Meisterköche-Jahrgang zeigt, wie ein Seismograf auf, was in der Stadt aktuell passiert. Berlin ist, wie auch New York, durch Emigration geprägt, und jede Gruppe Menschen, bringt spannend Neues mit. Die Hugenotten hatten Spargel und Blumenkohl im Gepäck, Herta Heuwer nahm Currypulver amerikanischer GIs für ihre Sauce, nach der Wende waren es junge Köche aus den neuen Bundesländern wie Stephan Hentschel oder Daniel Achilles, die erstmals regionale Produkte, die sie aus den Datschengärten kannten, auf Berliner Teller brachten. 2024 zeigt ein neues Hoch asiatischer Gemüseküche, wie im „Oukan“, dessen Küchenchef Timur Yilmaz als „Aufsteiger“ nominiert ist. Auch das volle Spektrum arabischer und israelischer Küchen ist nun hier. Im Restaurant „Teller“ in Prenzlauer Berg etwa mischt sich marrokanisch-sefardische mit jüdisch-georgischen Küche, und mit seinem als „Szenerestaurant 2024“ nominierten „Berta“ ist mit Assaf Granit steht selbst einer der weltweit bekanntesten israelischen Köche in Berlin am Herd.

Was hat am meisten überrascht?

Mit knapp 40 Kandidaten regelrecht explodiert ist die Auswahl in der Kategorie „Kiezmeister“, also der kleinen Standorte, der Buden, Läden, Bars, Ein-Zimmer-Restaurants, die durch Engagement, Handwerk und Genuss Kiez und Stadt voranbringen. Und tatsächlich sind es, wie ja auch New Yorks Geschichte zeigt, immer die neu Angekommenen, die die Ärmel hochkrempeln… und eben gerade jetzt, in auch schwierigen Zeiten, anpacken und Neues aufbauen.

Ein Beispiel?

„Dr & Dr“ in Kreuzberg, das Fooflab mit Catering, Kursen und Küche der iranischen Zwillingsschwestern Forough und Sahar Sodoudi. Die beiden waren erfolgreiche Wissenschaftlerinnen, jetzt verbinden sie Menschen durch die unglaublich gute Küche ihrer Heimat. „Kiezmeister 2023“ übrigens war die „Damaskus Konditorei“ in der Neukölln und Moabit, in der die in Syrien einst legendäre Konditorenfamilie Al Sakka, die aus ihrer Heimat floh, Spezialitäten offeriert, die es sonst nirgends in Deutschland gibt.

Du bist seit 12 Jahren Jury-Chef der Meisterköche. Wenn du die gastronomische Entwicklung Berlins in dieser Zeit mit drei Adjektiven beschreiben solltest, welche wären das?

Rasant, überraschend, metropolenhaft…

und die Küche jetzt aktuell in Berlin?

Vielfältig, farbenfroh, wohltuend – so wie die Menschen, wenn man sie lässt.

Die Jury vereint das geballte Experten-Wissen der Berliner Food-Autoren. Wie erfolgt die Auswahl, wie kommt ihr auf einen Nenner?

Jeder von uns zwölf Juroren benennt vor der ersten Sitzung mindestens fünf eigene Favoriten in jeder Kategorie, also die Orte, Neueröffnungen, Köche, Bars, Gastgeber, die besonders aufgefallen sind oder sich verbessert haben. Daraus entsteht die so genannte Vorschlagsliste, die dann bei der Wahl vor uns liegt. 200 Vorschläge waren es diesmal – so viel, wie in noch keinem Jahr davor. Und über jeden einzelnen wird diskutiert. Wir machen das ehrenamtlich, jeder einzelne nimmt aber gerade durch den Austausch auch so viel mit. Das gibt es keiner anderen Stadt der Welt, dass wir, die Restaurantkritiker – die ja doch irgendwie Konkurrenten sind – zusammensitzen um für eine Sache – für Köche, und Berlin – an einem Strang ziehen.

Wie lange dauert die komplette Wahl? Gab es auch etwas zu essen?

Die Abstimmung beginnt mit der Barkultur. Krönender Abschluss sind die möglichen Meisterköchinnen und Köche. Und jeder Juror darf pro Kategorie fünf Stimmen abgeben, am Ende werden die Stimmen für jeden auf der Vorschlagsliste aufgeführten Kandidaten addiert. Sechs Stunden hat die Sitzung diesmal gedauert. Ort war das NH Hotel Friedrichstraße. Das Team dort hat liebevoll gecatert – im Eifer des Gefechts bleibt für Essen aber kaum Zeit, jeder springt mal auf und holt sich einen Happen vom Büfett. Stolz sind Tina und ich, dass wir als Jury bis heute völlig unabhängig agieren, nichts ist gedreht oder gekauft – darin liegt der Wert der Auszeichnung.

Wer von den Nominierten hat Dich persönlich besonders beeindruckt?

Nicholas Hahn, der nominierte Meisterkoch aus dem Cookies Cream. Kein anderer kocht wie er, also bewusst klassisch, also auf französischer Basis, und dabei ausschließlich mit Gemüse. Auch das kleinen Restaurant Loumi in der Kreuzberger Ritterstraße ist toll, dort sind Küchenchef Karl-Louis Kömmler sowie auch Mical Rosenblat als „Aufsteiger 2024“ und als „Gastgeberin 2024“ nominiert ist. Die beiden hatten einen Supperclub in einer Neuköllner Hinterhofwohnung. Mutig haben sie jetzt noch eins draufgelegt und ihren Traum vom eigenen Restaurant verwirklicht.

Und dennoch: Der deutschen Spitzen-Gastronomie hat es den Appetit verschlagen. Fehlende internationale Gäste, Restaurantschließungen, Konzeptänderungen … Wie schätzt du die Lage in Berlin ein?

Das ist hausgemacht, ein deutsches Phänomen, das Berlin jetzt hart trifft. Andere Metropolen boomen. New York etwa stellt gerade Raum für hippe Bars und Restaurants in Subway-Stationen zur Verfügung, wilde Bands und Breakdance verwandeln Bahnhöfe in Happenings. In Deutschland fehlt es an Willen und Vision und dem Eingeständnis, dass ein genussvolles Miteinander entscheidend ist, um Gäste für ein Land, eine Stadt zu begeistern. Berlins wahre Gastgeber sind doch die Gastronomen, Bartender, Köche, Hoteliers. Und ich bin optimistisch: 200 Kandidaten in diesem Jahr, 40 Kiezmeister – Berlins Kreativität lässt sich nicht bändigen – gerade jetzt!

Das Gespräch führten Brigitte Menge und Martina Reckermann

Kasten:

Das Ergebnis der Wahl der Berliner Meisterköche 2024 wird auf einem Gala Diner im November bekannt gegeben. Hier wird auch siebte Kategorie, der „Gastronomische Innovator“, geehrt. Wir werden darüber in unserer Winterausgabe berichten.

Die bisherigen Preisträger der Berliner Meisterköche seit Beginn der Ehrung im Jahr 1997 sowie weitere Informationen zum Projekt Berliner Meisterköche unter: www.berlin-partner.de/netzwerk/berliner-meisterkoeche

Die Jury der Berliner Meisterköche | Foto: Berlin Partner / eventfotografen.berlin

Secured By miniOrange