Wer 20.000 DM im Jahr 1965 in 40.000 Wiking-Miniatur-Modelle à 50 Pfenning gesteckt hätte, könnte heute Euro-Millionär sein, wenn er sie verkaufen würde. Viele der 50-Pfennig-Modelle sind heute locker 50 Euro wert. Er hätte eine Rendite erzielt wie wohl mit keiner anderen „Anlage-Form“.
Das teuerste jemals gehandelte Wiking-Modell ist im Übrigen ein Mercedes-Benz Tanksattelzug, der 1962 für die Firma Thyssen als Werbemodell produziert wurde. Auf einer Wiking-Auktion erzielte das Fahrzeug vor einigen Jahren 10.100 Euro. Dabei war das gar nicht die Intention des Firmen-Gründers Friedrich Peltzer, sondern er wollte die Motorisierung Nachkriegs-Deutschlands mit entsprechenden Modellen für die Fahrschulen, die Eisenbahnplatten und die Vitrinen begleiten. Doch zur Funktion entwickelten die Kunden sehr schnell Emotionen – Leidenschaft für die schlichten Modelle. Daraus erwuchs eine Fan- Gemeinde, die bis heute andauert und deren Kern bereit ist, heute etwas auf Miniatur-Börsen, auch 200 bis 300 Euro für vielleicht 20 Gramm 50 Jahre alten Kunststoff zu bezahlen. Und das gilt mit Einschränkungen auch für andere Marken wie Herpa, Matchbox, Schuco oder Siku. Miniatur-Autos waren offenkundig nicht nur die Übung für die Jungs, bevor sie später große Autos fahren konnten, sondern blieben und bleiben für viele von ihnen Begleiter nun schon über Jahrzehnte.
Es war die Faszination vor allem der Babyboomer- Generation, die sich die Nase an den Schaufenstern der Spielzeuggeschäfte platt drückten und automobile Miniaturen bewunderten. Dies verankerte Autos von Anfang an in ihrer Lebenswelt, und die entsprechenden Träume begleiteten fortan die kleinen und dann immer größeren Jungs, und aus den kleinen wurden dann größere und große Autos, ohne dass sie die kleinen vergaßen.
Die Welt hat sich geändert, Spielzeuggeschäfte mit Schaufenstern gibt es in einer Amazon-Welt so nicht mehr. Und Generation Y und Z ist nicht mehr so Autoaffin, die Generation der in den 60ern und 70ern Geborenen aber hat ihre Leidenschaft zum kleinen Auto nicht vergessen, sondern zum Teil sogar professionalisiert, auch wenn mittlerweile große Old- und Youngtimer auch in den Garagen stehen. Der Autor selbst hat lediglich 200 Modelle von Wiking in seiner Vitrine, kennt allerdings unter seinen Freunden und Bekannten mehrere „heavy user“ mit Oldtimern in der Garage und 1.500 bis 4.000 Automodellen. Bisweilen werden sogar Garagen oder ganze Keller zum „Showroom“ umgebaut. Dazu manchmal noch eine eigene kleine Auto-Bibliothek.
Heute gibt es viel mehr Kommunikation, Austausch, Inszenierungen zum Thema als jemals zuvor. Aus dem Sammeln und Gebrauch von kleinen Autos ist eine „Bewegung“, eine ausdifferenzierte Szene, entstanden. Dazu gehören etwa ein Dutzend Zeitschriften zum Thema Modell- Auto und fortlaufend Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt. Dazu zählen opulente Modell- Auto-Bücher, die sich etwa nur einem Auto-Typ widmen. So gibt es, wen wundert‘s, ein Buch zu allen Modellen des Porsche 911, der wahrscheinlich mehr als 1.000 Varianten kennt. Andere widmen sich einem Hersteller wie Wiking, wie etwa mit „Auto-Träume, 85 Jahre Wiking“. Oder Zeitschriften wie „MODELL FAHRZEUG“, der Marktführer von Delius Klasing in dem Segment. So hat die breite Szene viele Plattformen wie Fachmagazine, Social-Media-Plattformen oder auch Messen.
Communitys
Es sind mehr als Kunden, Leser oder Zielgruppen, es sind Communitys, die sich hier austauschen. Diese sind aber keine kompletten Selbstläufer, sondern bedürfen der Hege und Pflege und neuer Ideen. Dazu gehört, um die Schaufenster von früher für die Bindung zu ersetzen, die jährliche Wahl des „Modellfahrzeug des Jahres“, des „Oscars“ für die Modellautobranche, zu der MODELL FAHRZEUG aufruft. Hier geht es um nagelneue Automodelle in allen üblichen Maßstäben von der Wiking-Baugröße HO/1:87 bis zum Großmaßstab 1:12, die entweder in sehr hoher Perfektion aktuelle Vorbilder als Miniatur interpretieren oder in die Vergangenheit greifen. Diese Kür schafft eine große Öffentlichkeit für das Thema, die sogar zur regelmäßigen Berichterstattung in renommierten Medien von SPIEGEL ONLINE bis zur WELT AM SONNTAG führt. Und die Preisverleihungen finden oft in den Autostädten bei den Autofirmen in Ingolstadt, München oder Wolfsburg statt. Diese haben in ihren Shops Dutzende von neuen Retro-Modellen für 20 Euro aufwärts. In diesem Jahr trifft sich die internationale Modellautobranche Mitte November zur Siegerehrung im Porsche Museum in Stuttgart.
Markenbotschafter für große Autos
Die „Kleinen“ haben eine große Marketingwirkung auf die echten Autos, weil sie durch einen hohen Sympathiefaktor positiv besetzt sind. So finden sich Automodelle im Accessoires-Angebot von Audi, BMW, Mercedes und Co., die auch die Begeisterung für Young- und Oldtimer bedienen und damit immer auch auf die jeweilige Marke einzahlen. Und Verlage wie Delius Klasing sind publizistisch mit von der Partie und befeuern mit liebevoll gemachten Publikationen die große Leidenschaft für kleine Autos – etwa mit dem neuen Buch „Lieblingsautos“, das zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse im Oktober erscheint und „die schönsten Modelle aus der Spielzeugkiste“ zeigt. Es wird sicher seinen Platz in den Regalen begeisterter Automodellsammler sowie Autointeressierter finden und seinen Teil dazu beitragen, dass ein Ende der Passion für die kleinen Kostbarkeiten auf vier Rädern nicht abzusehen ist.
von Peter Klotzki und Christian Ludewig