75 Jahre und noch immer frech

Das älteste Kabarett der Stadt feiert Geburtstag – „Die Stachelschweine“ werden 75 Jahre alt. Das erste Programm im ehemaligen Studenten Lokal „Die Badewanne“ wurde noch im Herbst 1949 ohne einen eigenen Titel gestartet, erst später wurde es „Alles irrsinnig komisch“ benannt. Wöchentliche Spieltage nach der Premiere waren der Dienstag und der Freitag, gelegentlich kam auch der Mittwoch dazu. Das Programm wurde bis Ende des Jahres 1949 gespielt.

Bundesweit bekannt wurden die Stacheltiere durch Fernsehübertragungen in den 1960er-Jahren. Besonders erfolgreich waren gemeinsame Fernseh-Live-Sendungen mit der Münchner Lach – und Schießgesellschaft.

Zu den Mitwirkenden der Sechziger Jahre gehörten z. B. die Damen Edith Elsholtz, Beate Hasenau, Ingrid van Bergen, Edeltraut Elsner, sowie die Herren Joachim Röcker, Jochen Schröder, Wilfried Herbst und Reinhold Brandes. Zwanzig Jahre nach der Gründung waren schließlich fast alle früheren Ensemblemitglieder ausgeschieden. Lediglich Wolfgang Gruner und der Künstlerische Leiter und Haupttexter Rolf Ulrich setzten die Arbeit mit wechselnden Darstellern fort.

Es war bewährte Tradition dieses Kabaretts, die Zusammensetzung des Ensembles und den künstlerischen Stab behutsam, aber ständig auszuwechseln. Dadurch war es möglich, alle Spielarten des Kabaretts zu praktizieren und sich gleichzeitig dem wechselnden Zeitgeschmack des Publikums anzupassen. Zu den Mitwirkenden der Sechziger Jahre gehörten u. a. Edith Elsholtz, Ingrid van Bergen und Joachim Röcker, Jochen Schröder und Wilfried Herbst. Auch die Spielorte wechselten: der „Ewigen Lampe“ folgte dann 1965 bis heute das Europa Center – an prominenter Stelle des alten West-Berlins. Bekannte Namen führten auch Regie in den ersten Jahren: u.a. Wolfgang Spier und Wolfgang Neuss. Apropos Regie: Endlich Stachelschwein! Das kann der Kabarettist Frank Lüdecke von sich behaupten: er hat seine Spuren nun in allen dreien Berliner Kabaretts hinterlassen: Als Schüler besuchte er erstmals das Ensemble im Europa Center. Als etablierter Kabarettist, der u. a. lange Texte für Dieter Hallervorden schrieb und auch in der ARD Reihe „Spottlight“ mit ihm auftrat– übernahm er vor 5 Jahren die künstlerische Leitung. Seine Frau Caroline arbeitet als Geschäftsführerin, Tochter Florentine hat das Logo entworfen. Zwischendurch war Frank Lüdecke noch ein paar Jahre lang künstlerischer Leiter der „Distel“. Ihn freut besonders, dass er für die Stachelschweine das Berliner Publikum größernteils zurückerobern konnte.

Gegenwart: Jubiläumsprogramm: „Ich hab noch einen Tesla in Berlin“ im Keller des Europa Center

Szene aus dem Jubiläumsprogramm: „Ich hab noch einen Tesla in Berlin“. Fotos: Kabarett-Theater Die Stachelschweine/Dirk Demel

Wir schreiben das Jahr 2029. Nach dem Frieden von Moskau sorgt Zar Wladimir I. sich um die russischen Minderheiten in Litauen und Polen. Um einen Bankrott der USA zu verhindern, hat Präsident Trump Alaska an Kanada verkauft. Deutschland ist in der Pisa-Studie hinter Georgien gerutscht. Das Käsebrötchen kostet 14 Euro. BASF und Bayer sind nach Asien ausgewandert, VW und BMW gehören zu Tesla. Da hat Kanzlerin Wagenknecht eine Idee. Mit einer einzigen Maßnahme, so rechnet sie vor, kann sie alle ihre Wahlversprechen finanzieren: Rente ab 55, kostenloser Öffentlicher Verkehr und Mietendeckel auf dem Stand von 1989. Es ist der „Geheimplan Berlin“. Von nun an kann nichts mehr schiefgehen …

Das Stück ist gleichzeitig der Startschuss für ein neues, junges Ensemble. „Ich liebe Ensemble Kabarett“ sagt Frank Lüdecke und weiß gleichzeitig, dass er damit heutzutage fast alleinsteht. Aber seinem Motto „es soll um etwas gehen im Kabarett“ will er treu bleiben. Vielleicht etabliert sich ja auch wieder ein Typ wie es einst Wolfgang Gruner war, der über Jahrzehnte bis zu seinem Tod 2002 das Zugpferd der „Stachelschweine“ war. Damit die 330 Plätze immer ausverkauft sein mögen.

In den frühen Zeiten gingen die Stachelschweine auf die Straße – und das geschah mit Witz: Mitten am Tage und mitten auf dem turbulenten Kurfürstendamm liefen sie in Schlafanzügen Reklame für sich und ihre Pointen. Die Berliner stiegen sofort darauf ein, vor allem, als sich herumsprach, dass an der Abendkasse nur „pro Kopp een Knopp“ verlangt wurde. Viel Geld konnte man damit nicht verdienen, aber die Stachelschweine wurden populär. Vor allem durch die gezielten Texte, ihre komödiantische Spielfreude und die zupackenden Programme.

Die erste Premiere im Europa Center fand am 9. Juni 1965 unter dem Titel „… und vor zwanzig Jahren war alles vorbei“ statt. 1974 hieß das Programm „Remember Song – die Themen u. a. Wiedervereinigung und Ost Westliches …

Moralische Botschaften mit Jux aufmischen: Dafür stand vornehmlich Knalltüte Wolfgang Gruner. Wie hieß es einst in einem Stachelschwein Lied: „Wenn man von Halensee zum KaDeWe den alten Ku’damm runterfährt, dann stellt man immer wieder fest, hier ist der Treffpunkt Ost und West“ – 1953 war das – dieser Zustand ist nach dem Mauerfall bis heute noch nicht wiederhergestellt – denn es gibt zwei halbe Berlins …

Auf alle Fälle gilt der Satz, den Erich Kästner den Stachelschweinen einst ins Stammbuch schrieb: „Liebe Stachelschweine, lasst Euch nie rasieren!“ Und dann setzte er in dicken Lettern die Überschrift ein: „Überflüssiger Rat“.

www.diestachelschweine.de

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