Vom Grunewald zum Brandenburger Tor

50 Jahre Berlin-Marathon: Rekordteilnehmer Wilfried Köhnke, Horst Milde, Premierensieger Günter Hallas und Peter Bartel (v. l. n. r.) Foto: Bernd Karkossa

Der rekordträchtige Berlin-Marathon feiert am 29. September sein 50. Jubiläum. Als am 13. Oktober 1974 Läufer*innen mit Startnummern parallel zur Avus durch den Grunewald liefen, haben sie von Spaziergängern wahrscheinlich eher verwunderte als bewundernde Blicke geerntet. Dass sie gerade einem historischen Ereignis beiwohnten und den Beginn einer einzigartigen Erfolgsgeschichte mit eigenen Augen miterlebten, dürfte kaum jemandem durch den Kopf gegangen sein.

Vor 50 Jahren fiel der Startschuss zu einer der größten Laufveranstaltungen der Welt. 286 Teilnehmer begaben sich damals zum 1. Berliner Volksmarathon des SC Charlottenburg an die Startlinie am Mommsenstadion und nahmen die 42,195 Kilometer in Angriff. Die Strecke führte über die Waldschulallee, Eichkampstraße, Königsweg, Kronprinzessinnenweg, Wannseebadweg zur Buswende (Nähe Strandbad) – zurück zum Mommsenstadion und musste zweimal gelaufen werden. 244 kamen ins Ziel. Historischer erster Sieger war Günter Hallas von der LG Nord in 2:44:53 Stunden, schnellste Frau war Jutta von Haase (LG Süd) als Gesamt-44. in 3:22:01 Stunden. Nur elf Frauen kamen ins Ziel – Lieselotte Steglich als 237. in 5:40:10. Letzter wurde Dieter Reimer in 5:55:53.

Wenn am 29. September der 50. Berlin-Marathon gestartet wird, drängeln sich wieder rund 40.000 Läufer*innen auf der Straße des 17. Juni. Der Berlin-Marathon hat weltweit Sportgeschichte geschrieben und ist mit seinen ständig steigenden Teilnehmerzahlen und etlichen Weltrekorden eine einzige Erfolgsstory. Untrennbar verbunden damit ist Horst Milde, der den Marathon 1974 aus der Taufe gehoben hatte. Die 1913 in Berlin gegründete World Athletics (früher IAAF) hat am 1. November 2023 im Roten Rathaus dem Berlin-Marathon und seinem „Spiritus Rector“ die „Heritage Plaque“ verliehen und damit die außergewöhnliche historische Rolle Berlins in der Weltgeschichte des Laufsports und der Leichtathletik gewürdigt.

Das habe sich noch längst nicht überall herumgesprochen, erzählt Horst Milde humorvoll: „Als ich im Vorfeld der Feierstunde im Roten Rathaus in der Senatskanzlei vorsprach, wurde ich gefragt: Wer sind Sie überhaupt? Naja, ich bin Rentner und habe vor 49 Jahren den ersten Berlin-Marathon organisiert.“ Der heute 85-Jährige, geboren und aufgewachsen in Tempelhof, wo er als gelernter Konditor und später als Diplom-Kaufmann den elterlichen Bäckerei-Betrieb am TeDamm übernahm, hatte bereits 1964 den ersten Berliner Volkslauf, einen Crosslauf mit 700 Teilnehmern am Teufelsberg, organisiert. Milde war in seiner aktiven Zeit ein guter Mittelstreckler, hat Bestzeiten von 1:49,8 über 800 m oder 3:51,8 Minuten über 1.500 m in seiner Läufer-Vita stehen. Mit der 3×1.000-m-Staffel wurde er an der Seite des 1.500-m-Europameisters 1966 Bodo Tümmler zweimal Deutscher Meister.

Der Mann, der Berlin das Laufen beibrachte

„Von jenem ersten Crosslauf am Teufelsberg 1964 bis zum Jahresbeginn 2004 hat er mit seinem Organisationsteam genau 1.268.649 Menschen in 348 Veranstaltungen zum Laufen gebracht. Horst Milde wurde bekannt als, Der Mann, der Berlin das Laufen beibrachte‘, berichtet Wikipedia. Der große Sprung gelang 1981, als erstmals am Reichstag gestartet wurde. „Die Schwierigkeiten waren zu der Zeit noch viel größer“, so Milde. „Die Polizei sagte, Herr Milde, die Straßen gehören den Autofahrern. Was Sie da machen, können Sie erstmal vergessen.‘ Aber die französischen Alliierten waren der Vorreiter. Die haben einfach gesagt, dass sie einen 25-Kilometer-Lauf veranstalten. Da konnte die Polizei nichts machen. Ich habe am nächsten Tag einen Brief an die Stadt geschrieben, dass ich gleichbehandelt werden will. Und wir haben es durchgesetzt.“ Das große Highlight sollte 1990 folgen: der Wiedervereinigungsmarathon, der erstmals durch das Brandenburger Tor führte. 30 Jahre lang war Horst Milde Renndirektor des Berlin-Marathons, ehe er 2004 die Regie des rekordträchtigen Stadtlaufs an seinen Sohn Mark übergab. Mathematiker dürften sich wundern, dass 50. Geburtstag und 50. Austragung in diesem Jahr zusammenfallen. Denn nach Adam Riese müsste es doch der 51. Lauf sein – doch einmal fiel er aus. Natürlich war Corona schuld, 2020 musste das Event abgesagt werden. Mathematiker ist auch Peter Bartel, der vor 50 Jahren bei der Premiere dabei war. „Es war mein erster Marathon überhaupt“, erzählt er. „Gegen Günter hatte ich keine Chance, aber der war ja auch wesentlich jünger als ich. Zwei Tage, um genau zu sein“, sagte der inzwischen 82-Jährige. Derzeit ist er auf der Suche nach den Berliner Finishern des ersten Marathons. „Ich würde sie gern in die Rahmenveranstaltungen rund um den Jubiläumslauf einbauen.“ Mit dabei sein werden sicher Günter Hallas und Wilfried Köhnke, mit 47 Teilnahmen der Rekordler des Berlin-Marathons. Zum Jubiläum gibt das Forum für Sportgeschichte – Marathoneum eine umfangreiche Publikation mit 248 Seiten und rund 350 Abbildungen heraus (Bestellungen z. B. über: Marathoneum@t-online.de). Im Mittelpunkt steht die Historie des Marathons und das Wirken von Horst Milde. Gerd Steins vom Forum für Sportgeschichte ist in der Zeit aber noch weiter zurückgegangen. Denn was vielleicht die wenigsten wissen: Bereits am 26. Juli 1924, also vor nunmehr 100 Jahren, fand mit dem „14. Deutschen Marathonlauf“ in Berlin der erste Stadtmarathon der Welt statt.

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