Is(s)t Berlin wirklich süß oder eher eine Currywurst-essende Metropole mit rauem Charme? Schon der Dichterfürst Goethe polterte über die schon Dichterfürst Goethe über die Spree-Athener: „Es lebt dort ein Menschenschlag beisammen, dass man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern dass man Haare auf den Zähnen haben muss.“ Doch entspricht diese haarige Einschätzung noch der Realität?
Wer heutzutage durch die Straßen schlendert, wird schnell feststellen, dass die Hauptstadt eine ausgeprägt süße Seite haben muss: Um die 9.000 Cafés tafeln hier auf. Hinzu kommen Spezialitäten-Geschäfte und traditionelle Manufakturen, die heute wieder – Hotspots darstellen. Über derlei süße Verlockungen hat Autorin Tanja Dückers ein höchst appetitliches Buch geschrieben. Es zeigt die Schokoladenseite Berlins und führt zu den Chocolatiers, Pralinen-, Kuchen- und Eismanufakturen. Mehr im Buch sowie auf der geschichtlichen Dauerausstellung „Alles Zucker“ im deutschen Technik-Museum.
Doch es gibt nicht nur Museales zu vermelden: Seit letztem Jahr residiert der Sawade Flagship-Store am Kudamm Ecke Uhlandstraße. Im einstigen Salon des Star-Coiffeurs Udo Walz erstrahlen Pralinen, Trüffel- und Marzipanspezialitäten in vielfältigen Farben und Formen. Schächtelchen mit Berlin-Motiven werfen die ewige Nasch-Sammler-Frage auf: Verzehren oder stehen lassen?
Auch lohnt es sich, außerhalb des Kudamm-Areals zu stöbern. Fünf U-Bahn-Stationen südwärts in der Varziner Straße nähe Bundesplatz residiert der „Süßkramdealer“. Seit nunmehr 17 Jahren verkauft Inhaber Martin Hesse sein Naschwerk in Berlins traditionsreichstem Ex-Tabakladen am Anfang von Friedenau. Entgegen der Allerwelts-Regel, unbedingt Laufkundschaft anzuziehen, agiert sein Geschäft von einem Ort aus, der in keiner Weise Laufkundschaft nötig hat. Grund dafür ist ein Sortiment, für das seine Kunden weitere Wege in Kauf nehmen. Dafür geht fast ausschließlich exklusive Manufaktur-Ware über die Ladentheke. Sollte einmal ein Produkt im Supermarkt auftauchen, wird es sofort ausgelistet.
Zehn Fahrminuten weiter östlich in Sichtweite des Rathaus Schöneberg, wo John F. Kennedy einst sein „Ich bin ein Berliner“ ausrief, feiert in der Salzburger Straße „Das süße Leben“ sein 22-jähriges Bestehen. Geschäfts-Grundsatz dort: „Wir verkaufen nur, was uns selbst schmeckt. Dafür haben die Gründerinnen ein handverlesenes Netzwerk von Spezialisten für Qualität und Geschmack aufgebaut. Unter den aktuellen Betreibern Lúcia de Brito und Dario Deserri präsentiert der Eckladen viel Liebe zu leckeren Details: Der Clou ist das personalisierte Praliné mit eigenem Schriftzug oder Logo ab einer Auflage von 75 Stück. Außerdem gibt’s die beste Pastel de Nata, die der Autor jemals in Berlin gegessen hat. Derlei Leckereien lassen auch prominente Würdenträger nicht außen vor. So kauft Bundespräsident a.D. Joachim Gauck mitunter dort ein. Wenn ein Mann mit Knopf im Ohr an der Ecke steht, wissen die Nachbarn, wer gerade den Laden besucht.
Und wo kommen die anderen süßen Sachen in der Hauptstadt her? Beispielsweise von Katharina Zeilinger aus der Berliner Schokoladen-Manufaktur 31 ° in der Lottumstraße. Der Vorgänger ist aufgrund der hohen Mitte-Mieten Richtung Wedding in die Soldiner Straße abgewandert.
Apropos Nordberlin: Hier ist die Heimat der Aseli Schaum-Mäuse und ihrer Tier-Kumpels. Seit über 100 Jahren kommen sie aus dem Reinickendorfer Traditionsbetrieb – alle nach altem Familienrezept handgekocht und handbemalt. Neben einem Außenposten in den quirligen Hackeschen Höfen verkaufen seit Frühjahr ´21 die Mövenpick Marchés im Berliner Zoo Aselis „Wildtier-Tüten“ mit Giraffen, Löwen und Elefanten.
Doch die Krönung in Sachen Originalität bringt die eingangs erwähnte Autorin Tanja Dückers. Unter ihrem Label „Preußisch Süß“ will sie erfahrbar machen, dass Preußen nicht nur für Untertanentum und Militarismus steht. Ihre rund 30 Bezirks- und Stadtteil-Schokoladen sind im
Kulturkaufhaus Dussmann sowie online erhältlich.
Und wie soll beispielsweise Friedenau schmecken? Eine „solide, dunkle Schokoladenmahlzeit mit einem i-Pünktchen erlesenen Nougats, einer Fußnote Haselnuss-Mark und einigen Kürbiskern-Ausrufungszeichen – angenehm bürgerlich wie ein schönes Altbau-Wohnzimmer“, so beschreibt es die Kreatorin. Und wozu eine Lage Esspapier drin? „Wegen Rainer Maria Rilke, Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Uwe Johnson und Günter Grass, die in Friedenau Werke von Weltrang geschrieben haben.“ Da muss der seinerzeit poltrige Goethe wohl außen vor bleiben.
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www.technikmuseum.berlin