Die Chefin der Filme

Foto: Sabeth Stickforth-Siemer

Kirsten Niehuus ist Geschäftsführerin des Medienboard Berlin- Brandenburg und leitet dort seit 15 Jahren die Filmförderung der Hauptstadtregion. Die Creme de la Creme des deutschen und internationalen Films hat bei ihr vorgesprochen. Blockbuster wie „Keinohrhasen“ oder „Cloud Atlas“ konnten erst durch ihre Unterstützung realisiert werden.

Frau Niehuus, in den vergangenen Jahren haben Sie rund 3.600 Filme gefördert. Bekommen Sie täglich Drehbücher und Skripte, die bei Ihnen eingereicht werden?

Nein, nicht jeden Tag, glücklicherweise haben wir vier Deadlines und vier Fördersitzungen pro Jahr. Insgesamt bekommen wir jährlich über 400 Einreichungen. Bei unseren Entscheidungen schauen wir auf das „Gesamtpaket“. Also, wer führt Regie, wer spielt die Hauptrollen, wer produziert und wie hoch sind die veranschlagten Kosten. Es sind rund 80–100 Anträge pro Sitzung, mit denen wir uns ca. zweieinhalb Tage pro Antragstermin beschäftigen. Darunter sind aber Verleihanträge für fertige Filme, die wir vor allen anderen sehen dürfen, die für das Marketing Geld beantragen. Jedes Drehbuch wird von einer externen Lektorin und von einem oder einer FörderreferentInnen begutachtet. Danach lese ich alle Drehbücher. Das ist schon das Kernstück meines Jobs. Meistens bin ich dann vor jeder Fördersitzung gut eine Woche plus zwei Wochenenden komplett aus dem Verkehr gezogen und nutze jede freie Minute zum Drehbuch Lesen und Filme Schauen.

Anschließend begutachten Sie dann die Erfolgschancen und ob es sich lohnt, das Projekt zu fördern. In diesem Jahr hat das Medienboard Berlin-Brandenburg mit Ihnen an der Spitze das 15-jährige Jubiläum gefeiert. Wenn wir mal eine kleine Bilanz ziehen, gab es besondere Erfolge, aber auch Misserfolge?

Misserfolge vergisst man natürlich gerne (lächelt). Die Frage ist ja auch immer, wie man Erfolg definiert, ob kultureller oder ökonomischer Erfolg gemeint ist.

Man kann meist nicht alles haben, denn ein Film, der anspruchsvoll ist und auf einigen A-Festivals läuft und dann auch noch kommerziell erfolgreich ist, ist eher die Ausnahme. Also wir freuen uns über beides, wenn ein Film auf der Berlinale oder in Cannes läuft oder viele ZuschauerInnen im Kino hat. Wenn wir fördern, tun wir das natürlich mit einer bestimmten Erwartungshaltung, und es ist natürlich eine große Enttäuschung für alle Beteiligten, wenn der Film weder Besucher noch künstlerischen Erfolg hat.

Stichwort Blockbuster im Kino. Wie viele der erfolgreichen Filme zahlen ihre Förderung an Sie zurück?

Man kann sagen, dass alle großen Filme, die über 1 Mio. Zuschauer im Kino hatten, ihre Förderung ganz oder teilweise zurückzahlen – und das auch gerne. Ein Beispiel dafür ist Til Schweiger, der fast alle seine Fördergelder bisher zurückgegeben hat. „Der Junge muss an die frische Luft“ hat zurückgezahlt und auch „Babylon Berlin“ zahlt Geld zurück.

2018 war für das Medienboard ein Rekordjahr, das Medienboard hat 38,8 Mio. Euro Fördermittel vergeben. Außerdem hat sich die Zahl der Drehtage mit 5.300, verglichen mit der Drehzahl seit der Gründung, verfünffacht. Zwar liegen die Zahlen für 2019 erst im Januar vor, aber jetzt, fast Ende des Jahres, können Sie ja zumindest eine Schätzung abgeben, ob das 2019 noch getoppt wird oder nicht?

2018 hatten wir knapp 38 Mio. Fördergelder zur Verfügung. Das war allerdings auch ein Ausnahmejahr. Sonst stehen uns etwa 30 Mio. zur Verfügung. Von dieser Summe kommen zwischen 5 und 8 Mio. von verschiedenen Fernsehsendern. Wir würden uns freuen, wenn auch die Streaming- Dienste wie Amazon und Netflix sich beteiligen würden, aber das ist noch nicht der Fall. Vielleicht ja in der Zukunft.

Also offenbar eins Ihrer Vorhaben für 2020. Einer Ihrer Pläne, wie wir gehört haben, ist es auch, mehr Geld zur Verfügung gestellt zu bekommen, um beispielsweise die Standortförderung zu gewährleisten.

Im Moment sind wir gerade dabei, den Visual Effekts Bereich auszubauen. Dafür wünschen wir uns rund 2 Mio. Euro mehr. Dafür sind wir mit PolitikerInnen im Gespräch, denn über die Höhe der Mittel für das Medienboard entscheidet ja das Abgeordnetenhaus. Der Haushaltsentwurf wird demnächst verabschiedet und dann werden wir sehen, ob wir die nötige Erhöhung bekommen. Wir hoffen natürlich, dass die Stadt die Filmbranche weiter stark unterstützt, denn die Filmindustrie ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Das Geld geht an die Investitionsbank des Landes Brandenburg, die in unserem Auftrag die Verwaltung der Fördergelder übernimmt.

Klaus Wowereit war ja in seiner Amtszeit dem Medienboard sehr gewogen. Wie sieht das mit seinem Nachfolger aus?

Ja, Klaus Wowereit hat eine Vision von Berlin als Film-Hotspot. Bisher können wir uns allerdings über Michael Müller auch nicht beschweren. Aber die Filmindustrie hat sich ja auch sehr gut hier entwickelt. Vielleicht setzt er sich ja in Zukunft noch ein bisschen mehr für uns ein.

Warum?

Weil die Dreharbeiten zu „Babylon Berlin“ auch im Roten Rathaus stattgefunden haben und er auch sonst das Set ein paar Mal besucht hat und ganz angetan war. Außerdem konnte er sich davon überzeugen, wie viele Arbeitsplätze so eine Film- bzw. Serienproduktion vor und vor allem hinter der Kamera schafft.

Generell haben Sie – nicht nur bei Herrn Müller – zur Filmleidenschaft in Berlin beigetragen und die Stadt zum Hotspot gemacht. Das Medium Film ist der effektivste Markenbotschafter Berlins. Eine Tatsache, über die bestimmt auch Berlin Partner und visitBerlin begeistert sind.

Ja, wir haben auch schon bei einigen Projekten zusammengearbeitet. Und über den Erfolg von „Babylon Berlin“ gibt es jeden Grund zur Freude, denn alle drei Teile der Serie funktionieren auch international und haben der Stadt ein Denkmal gesetzt. Die Menschen im Ausland finden Berlin dadurch interessant und verbinden die Stadt mit diesen goldenen Twenties. Genauso wie auch die DDR und alles, was damit zusammenhängt, als Epoche interessant ist, spätestens seit Tom Hanks einen Trabi eingesetzt hat.

Als „Mutter“ muss man alle seine Kinder lieben, und Sie müssen natürlich auch als „Mutter der Filmförderung“ all ihre Projekte gleich mögen. Haben Sie dennoch ganz besondere Herzensprojekte?

Ein besonderer Film ist „Victoria“ für mich, der auch auf der Berlinale gelaufen ist. Und auch „Keinohrhasen“, weil das der Film war, der für mich sozusagen die Neuzeit der Berlin-Komödien eingeläutet hat. Bis dato gab es nur Hamburger oder Münchner Komödien, wo es in den 80erund 90er-Jahren um junge Leute mit coolem Job und cooler Wohnung ging. Dafür gab es in Berlin einfach nicht das soziale Umfeld. Dies hat sich mit den Til-Schweiger- Komödien ab 2005 geändert.

Viel geändert hat sich leider nicht an der Präsenz der Frauen in der Filmwirtschaft. Haben Sie deshalb in der Vergangenheit „Ihre“ eigene Frauenquote eingeführt? Ihr Prinzip in den vergangenen Jahren war es, nicht nur die Chancengleichheit zu fördern, sondern auch zugunsten der Frauen zu drehen. „Bei gleicher Qualität wurde das Projekt mit der Regisseurin gefördert.“ Wird dieses Prinzip auch 2020 fortgesetzt?

Unbedingt. Zwar ändert sich wenigstens in den Filmen langsam das Rollenbild, wie man an den weiblichen Kommissarinnen beispielsweise sieht oder an Alleinerziehenden, die nicht als Opfer daherkommen, aber hinter der Kamera hat sich da noch nicht viel getan. An den Filmhochschulen machen genauso viele Frauen einen Abschluss wie Männer. Aber viele Frauen tauchen dann nicht mehr auf. Sogar bei den Vorabendserien führen gerade mal 11 Prozent Regie, das kann man mir nicht erklären. Zum Glück für die weiblichen Filmschaffenden brauchen die Streaming-Dienste wegen der großen Nachfrage viele Personen, die Drehbücher schreiben oder Regie führen können. Das ist eine große Chance auch für Frauen in den Markt zu kommen.

Apropos Streaming-Dienste. Viele unken ja, dass es wegen Netflix und Co. immer weniger Menschen in die Kinos zieht. Wie sehen Sie das?

Es ist Wahnsinn, wie es sich verändert hat, vor zehn Jahren war das Streamen noch gar kein Thema und dann kam Netflix, damals musste man noch die geliehenen Filme per Post zurückschicken. Heute unvorstellbar. Die Frage ist natürlich, wie sich das auf die Kinowelt in Zukunft auswirken wird – vieles spricht dafür, dass man weiter ins Kino geht. Gerade für effektreiche Filme mit vielen Explosionen und Spezial- und Audioeffekten – das kann man so, trotz aller Beamer und Audiosyteme, zu Hause nicht herstellen. Das ist auch der Punkt, der dafür spricht, dass die Jugend ins Kino geht, weil gerade diese Zielgruppe gerne Adventure-Filme sieht. Dennoch wird sich das Verhalten der Konsumenten schon etwas ändern. Man wird eher abwägen, ob es sich lohnt 10 Euro für einen Kinofilm zu zahlen oder einen Film zu streamen. Dabei kommt es vor allem auf die Qualität der Filme an, damit es funktioniert, wie beispielsweise bei „Systemsprenger“, „Joker“ oder „Das perfekte Geheimnis“. Ich finde einfach, im Kino ist man viel mehr im Geschehen und genießt das Gefühl zwei Stunden Zeit zu haben ohne Ablenkung. Natürlich erkennen wir auch die Zeichen der Zeit und fördern auch High End-Serien wie „Babylon Berlin“. Ein Film, der eigentlich für das Kino vorgesehen war, wurde von Netflix gekauft, was gut für den Film war, denn so hatte er mehr Zuschauer und konnte seine gesamte Förderung zurückzahlen.

Demnächst stehen große Ereignisse vor der Tür: Stichwort Oscar-Verleihung (10.2.) und Berlinale (20.2.–1.3.). Seit diesem Jahr stehen die Filmfestspiele unter neuer Führung (Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek) und nicht mehr unter Dieter Kosslick. Wird sich damit etwas ändern?

Was die Berlinale angeht, wird man sehen, welche Auswirkungen es hat, dass die Oscars diesmal früher vergeben werden. Wer aber über den roten Teppich läuft und welche Filme gezeigt werden, ist ein gut gehütetes Geheimnis, das wir auch nicht kennen. Gute Chancen für einen Oscar könnten wir mit „Systemsprenger“, „The Perfect Candidate“ und „Die Sehnsucht der Schwestern Gusmao“ haben.

Letzte Frage: Gehen Sie auch privat gerne ins Kino und bei welchem Film?

Mein letzter nicht-geförderter Film war „Joker“, ein Must-See sozusagen. Ich bin Mitglied der europäischen Filmakademie und habe somit auch die Möglichkeit, Filme etwas vor ihrem Erscheinen oder zeitunabhängig zu sehen. Das ist sehr schön. Natürlich habe ich auch „Systemsprenger“ und „Das perfekte Geheimnis“ gesehen – also querbeet. Ich freue mich auf „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, der zu Weihnachten startet, und die 3. Staffel von „Babylon Berlin“, die am 24. Januar bei Sky anläuft.

Vielen Dank für das Interview.

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