//GESPONSERT – Das ist der Titel einer aktuellen Studie, die das Kompetenzzentrum Großsiedlungen e. V. im Auftrag des BBU Verband Berlin – Brandenburgischer Wohnungsunternehmen erarbeitet hat. Dr. phil. Dr.-Ing. Bernd Hunger, Stadtplaner und Stadtsoziologe sowie der Vorsitzende des Kompetenzzentrums Großsiedlungen e. V., erläutert für das Top Magazin Berlin Lösungsvorschläge und erklärt den Grund für das Erstellen der Studie.
Bebaubare Flächen für den Wohnungsbau sind in den Städten mit angespannten Wohnungsmärkten gefragt. Die Potenziale in Altstadtbereichen und auf Konversionsflächen sind zusehends ausgeschöpft. Damit rücken die großen Wohnsiedlungen des 20. Jahrhunderts wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Vor allem in den nach dem Leitbild der „aufgelockerten Stadtlandschaft“ errichteten Wohngebieten mit ihren häufig großzügigen Grünräumen werden Potenziale für ergänzenden Neubau gesucht. Rein rechnerisch ergeben sich Flächenpotenziale, die den Umfang des tatsächlich Realisierbaren überschreiten. In welchem Maße baulich ergänzt werden soll und kann, hängt von rechtlichen Rahmenbedingungen wie Dichte, Abstandsregeln, Lärmbelastung, Artenschutz etc. ab. Noch entscheidender ist, dass die vorhandenen Nachbarschaften das Bauen in ihren Quartieren akzeptieren.
Für die Wohnungswirtschaft stellt sich die Frage, wo und wie ergänzendes Bauen so möglich ist, dass bezahlbare und bedarfsgerechte ohnverhältnisse
zu tragbaren Kosten entstehen.
Diese Frage beantwortet die Studie durch die Untersuchung der Potenziale von vier möglichen Formen des Bauens im Bestand: Aufstockung, Anbau, freistehender Neubau im Bestand sowie Abriss und Ersatzneubau.
Der gewählte Titel „Bauen in Nachbarschaften“ verweist darauf, dass doppelte Behutsamkeit gefordert ist, nämlich im Umgang mit den Bewohnern und im Umgang mit den vorgefundenen Gebäuden und Stadträumen. Bewusst wird auf den fachlich üblichen Begriff „Nachverdichtung“ verzichtet, der sich bei gescheiterten Vorhaben als Akzeptanz- Killer erwiesen hat.
Die Beispiele zeigen: Menschen akzeptieren das zusätzliche Bauen in ihrem Wohnumfeld, wenn für sie selbst und das Quartier ein Mehrwert erlebbar wird. Sie lehnen es ab, wenn sie befürchten, dass sich die vorhandene Wohnsituation verschlechtert. Es geht um Qualitäten wie Ruhe, Ausblick, Grün, Stellplatz, aber auch um Fragen wie: Wie werden die neuen Nachbarn sein? Reichen die Kita-Plätze bei noch mehr Bewohnern?
Sieben Prinzipien für das Bauen in Nachbarschaften:
Bauen in Nachbarschaften kann auf mehreren Wegen erfolgreich sein. Egal, ob Aufstockung oder Anbau, freistehender Neubau oder Ersatzneubau gewählt werden, lassen sich folgende Erfolgsfaktoren und Prinzipien zusammenfassen.
Prinzip 1: Mehrwert für das Quartier als Ganzes schaffen
Es wäre falsch, Neubau im Bestand in verkürzter Betrachtung nur unter dem Aspekt der Schaffung von zusätzlichem Wohnraum zu planen. Entscheidungsgrundlage sollten ganzheitliche Quartierskonzepte sein, die eine Aufwertung des Quartiers als Ganzes zum Ziel haben.
Prinzip 2: Bauen im Bestand zur Verbreiterung des Portfolios nutzen
Ergänzendes Bauen im Bestand ist geeignet, um das Angebot an Wohnformen zu verbreitern, das gerade in den großen Wohnsiedlungen der 1950er- und 1960er-Jahre häufig auf wenige Wohnungstypen beschränkt ist. Hierbei kann auf besondere Bedarfe in den Nachbarschaften reagiert werden, z. B. durch neue Betreuungsangebote und barrierearme bzw. -freie Wohnungen für Ältere, die im gewohnten Umfeld wohnen bleiben wollen.
Prinzip 3: Respekt vor dem Bestand
Beim Bauen im Bestand ist doppelte Behutsamkeit gefordert, sowohl was den baulichen Bestand als auch den sozialen Bestand in Form gelebter nachbarschaftlicher Netzwerke betrifft. Angeraten ist deshalb in der Regel das behutsame gestalterische und funktionale Einpassen in den Bestand statt einer „Inselplanung“ für ein als Fremdkörper empfundenes Neubauprojekt.
Prinzip 4: Alle Formen des Bauens in Nachbarschaften nutzen
Das Bauen innerhalb vorhandener Nachbarschaften muss genauso vielfältig sein wie die vorgefundenen sozialen und räumlichen Situationen. Alle Formen des Bauens in Nachbarschaften haben, je nach konkreter Bauaufgabe vor Ort, Vor- und Nachteile.
Wie die untersuchten Vorhaben zeigen, ist bei ganzheitlichen Erneuerungskonzepten häufig die Kombination von Aufstockung, Anbau und freistehendem Neubau der richtige Weg, der mit der Sanierung und dem Umbau des Bestandes verbunden wird.
Prinzip 5: Die Nachbarschaften frühzeitig und vielfältig beteiligen
Ergänzendes Bauen im Bestand scheitert ohne die Beteiligung der Bewohnerschaft und die Kooperation mit den benachbarten Eigentümern. Um Konflikte zwischen „alten“ und „neuen“ Nachbarn zu vermeiden, sind sensible Beteiligungsverfahren, gemeinsame Nutzungsmöglichkeiten im Wohnumfeld und eine transparente Wohnraumvergabe unerlässlich.
Prinzip 6: Suche und Auswahl geeigneter Grundstücke entscheidend für den Erfolg
Die Auswahl geeigneter Grundstücke erfolgt zweckmäßigerweise in mehreren Schritten. Zunächst ist zu prüfen, was planungs- und baurechtlich möglich ist. Die potenziellen Grundstücke sind dann dahingehend zu beurteilen, in welchen Quartieren Handlungsbedarf besteht, der u. a. auch mit ergänzendem Bauen gedeckt werden kann.
Prinzip 7: Lagequalitäten berücksichtigen
Nicht jede potenziell geeignete Lage ist für ergänzendes Bauen attraktiv genug. Eine unter dem Druck, schnellstmöglich Wohnraum zu schaffen, in der Not bebaute schlechte Lage kann sich perspektivisch als schwer vermietbarer Problemfall erweisen. Für jeden Standort muss die Lagequalität eingeschätzt werden.
Fazit: Bauen in Nachbarschaften braucht besondere politische Unterstützung
Bauherren im Wohnungsbau sind auf kommunales Politik- und Verwaltungshandeln angewiesen, das den Neubau in Nachbarschaften in besonderer Weise unterstützt. Alle bau- und planungsrechtlichen Möglichkeiten zur Unterstützung eines schnellen und reibungsarmen Planungs-, Genehmigungs- und Bauablaufs müssen genutzt werden. Bauherren und Kommunen müssen miteinander die für das jeweilige Vorhaben geeigneten Formen der Information, Beteiligung und Mitwirkung abstimmen und ein Klima fördern, dass die vorhandene Bewohnerschaft das jeweilige Vorhaben bejaht.
Für schlanke, unbürokratische Verfahren brauchen die Genehmigungsbehörden politischen Rückhalt. Und die Bauherren brauchen Ermutigung für schnelles Bauen in hoher Qualität zu tragbaren Kosten.