In der vergangenen Ausgabe sind wir durch das Fließtal von Tegel bis Waidmannslust gelaufen, haben das Tegeler Fließ genau unter die Lupe genommen und die Wasserbüffel besucht. In der aktuellen Ausgabe führt der Weg nach Norden zu einem besonderen Ziel: der Erkundung des Ortsteils Heiligensee.
Den Namen hat der knapp elf Quadratkilometer große nordwestlichste Ortsteil Berlins, der 2008 seinen 700. Geburtstag feierte, von einem See, in dem einer Sage nach eine Kirche versunken ist. An stillen Tagen könne man die Kirchturmspitze durch die Wasseroberfläche erkennen und die Glocke erklingen hören, heißt es.
„Von Tegel ist es lediglich ein Katzensprung“, erklärt Frank Max Polzin, der in Heiligensee als Postbote tätig war. Die gemütliche Wanderung führt von Alt-Tegel entlang der Greenwichpromenade, über die rot leuchtende Sechserbrücke, am Malchsee entlang bis zum Schwarzen Weg. Dort lohnt sich ein Abstecher zur Revierförsterei Tegelsee, denn in den dazugehörigen Gehegen kann man einige Wildtierarten wie Wildschweine, Damwild und Muffelwild ganz in Ruhe beobachten.
Die Revierförsterei am Schwarzen Weg hat eine lange Tradition: Bereits 1848 bezog der erste Förster den neu gegründeten Standort am Tegeler See. Das damalige Forsthaus existiert bis heute als Wohn- und Dienstsitz des amtierenden Revierleiters in unmittelbarer Nähe des Wildgatters. 13 Förstergenerationen wohnten unter diesem Dach. 2009 ist Revierförster Frank Mosch hier eingezogen und seitdem für den 704 Hektar großen Schutz- und Erholungswald zuständig.
Die Heiligenseer Baumberge
Zurück auf dem breiten Waldweg, geht es weiter in Richtung Norden. Nachdem die Konradshöher Straße überquert ist, ist Berlins höchster Baum nicht mehr weit. Die Burgsdorf-Lärche ragt 45 Meter in die Höhe. Sie erhielt ihren Namen von dem Mann, der sie im Jahr 1795 pflanzte: Friedrich August Ludwig von Burgsdorf war im 18. Jahrhundert Direktor der Forstakademie in Berlin.
Nach etwa zwei Kilometern heißt es dann „rechts abbiegen“ in eine für Berlin einzigartige Landschaft: die Heiligenseer Baumberge. Dabei handelt es sich um eine Binnendünenlandschaft, die zum Ende der letzten Eiszeit entstand. Bis zu 60 Meter hoch ragt die aus weißem Pudersand bestehende Düne aus dem Waldgebiet heraus. Durch die Besonderheit dieses Naturschutzgebietes, das als Natura- 2000-Gebiet auch zum zusammenhängenden Netz von Schutzgebieten innerhalb der Europäischen Union gehört, sind hier auch ganz besondere Tier- und Pflanzenarten heimisch. Ob Behaarter Ginster, Besenheide oder Heidenelke – selbst die vom Aussterben bedrohte Violette Schwarzwurzel gedeiht hier gut. Bei der Fauna findet sich der bedrohte Kiesbankgrashüpfer, die Knoblauchkröte und die Zauneidechse in den Baumbergen.
Landwirtschaft und Fischfang
Bis ins 20. Jahrhundert lebten die Heiligenseer größtenteils von den Erträgen der Landwirtschaft, davon zeugen heute noch zwei große Felder. Fangfrischen Fisch wie Aal und Zander erhalten Heiligenseer seit mehr als sechs Jahrzehnten von der Havelfischer-Fischerei und frisches Fleisch liefert Bauer Zorn in der vierten Generation von eigenen Rindern. Die braunen Limousin-Rinder gehören für viele Heiligenseer zum Ortsteilbild ebenso dazu wie der See und die Dorfkirche. Viele Anwohner haben in den 1980er-Jahren sogar für den Landwirt und den Erhalt seiner Felder mit Erfolg demonstriert. Angefangen hat die Traditionsfamilie Zorn allerdings in Spandau und Borsigwalde. In Spandau gehörte der Familie der größte Gemüseanbaubetrieb. Jochen Zorn übernahm dann 1966 nach der Heirat mit Waltraud Zickerick als 26-Jähriger den Betrieb seiner Frau, einen Molkereibetrieb in Borsigwalde. Dieser Betrieb wurde 1902 in der Schubartstraße 44 gegründet und bestand 1966 aus 50 Milchkühen und 200 Mastschweinen. Drei Felder in Heiligensee wurden in den 1960er-Jahren erstmals mit Getreide bewirtschaftet, um Futter für die Milchkühe zu liefern. Bis 1985 wurde der Molkereibetrieb fortgeführt, danach hielt Jochen Zorn noch 130 Schweine. Die Schweineställe wurden jedoch im Jahr 2000 abgerissen, nachdem der Landwirtschaftsbetrieb endgültig auf das Heiligenseer Nordfeld nahe der Heiligenseestraße verlegt worden war. Heute züchtet der Traditionsbetrieb ausschließlich die widerstandsfähigen Limousin-Rinder.
Schmiedekunst seit 1720
Tradition hat nicht nur der Landwirtschaftsbetrieb zwischen Dachsbau und Schulzendorfer Straße, sondern auch die Heiligenseer Dorfschmiede auf der Dorf-Aue von Alt-Heiligensee. Hier wird seit 1720 mit Liebe zum Detail gearbeitet. Während jedoch früher die Schwerpunkte auf Hufbeschlag und Wagenbau lagen, geht es heute um Handläufe an Treppen für die ältere Generation oder geschmiedete Zäune. „Die Schmiede ist mein Wohnzimmer“, erklärt Schmiedemeister Jupp Kaiser. Seine Anfänge vor mehr als 40 Jahren waren kurios: „Als ich 13 Jahre alt war, hat mich mein Vater hier abgegeben“, erinnert sich der heute 54-Jährige. „Zwar hat der damalige Schmied gesagt, er brauche niemanden. Mein Vater erklärte mir jedoch, dass ich hier so lange warten soll, bis ich gebraucht werde. Nach acht langen Stunden war ich eingestellt. So habe ich in der Schmiede angefangen und sie im Jahr 2001 übernommen.“ Seitdem geht es bei Kaiser fast ausschließlich um „heißes Eisen“. „Der Job ist mein Traumjob“, sagt er, während er den Stahl bearbeitet, den der Schmiedemeister vorher ins rund 1.800 Grad heiße Feuer gehalten hatte. „Ich habe eben mein Hobby zum Beruf gemacht.“
Die sechs Mitarbeiter inklusive Azubis und Sekretärin sind ein eingespieltes Team, das die alten Traditionen auch heute noch fortführt und Aufträge nach den Wünschen der Kunden präzise umsetzt. „Wir sind ein etablierter Handwerksbetrieb, bei dem noch traditionell am Feuer geschmiedet wird. Jahrelange Arbeit im Bereich der Metallbearbeitung und -gestaltung machen uns zu Experten in der Herstellung und Montage individueller Kundenwünsche.“ So ist auch die längste Bar Europas hier entstanden, die nun als besonderer Hingucker die Event- Location „Wasserwerk“ am Hohenzollerndamm 208 ziert.