Wenige Themen werden in der Berliner Öffentlichkeit so emotional und offen diskutiert wie die Wohnungsnot. Nahezu täglich berichten die Hauptstadtmedien über Massenbesichtigungen, steigende Mieten und verzweifelte Wohnungssuchende. Das neue Frühjahrsgutachten zeigt nun, dass – zumindest – die Zeiten der Preissteigerungen bald vorbei sein könnten. Doch die Probleme sind noch nicht gelöst.
Am 20. Februar traten Dr. Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses, und der Rat der Immobilienweisen zum alljährlichen Pflichttermin vor die Presse. Gemeinsam stellten sie das aktuelle Frühjahrsgutachten der Immobilienwirtschaft vor, die ausführlichste Analyse der deutschen Immobilienmärkte. Gunther Adler, Staatssekretär im Bundesbauministerium, war als Vertreter der Bundesregierung zu Gast und übernahm das Gutachten stellvertretend für seine Kolleginnen und Kollegen im Parlament.
„Die gute Nachricht unseres diesjährigen Frühjahrsgutachtens ist zweifelsfrei, dass es den deutschen Immobilienmärkten sehr gut geht“, eröffnete Dr. Andreas Mattner auch die Veranstaltung. „Und das ist auch wichtig. Weil wir hier in Deutschland zehn Prozent der Arbeitnehmer beschäftigen. Deswegen kann es uns nicht gut genug gehen. Das Marktumfeld ist nicht so ganz leicht, dennoch geht die Party weiter. Angesichts der anhaltenden Verknappung gibt es allerdings auch nicht zu viel Grund, um zu feiern.“ Das letzte Jahr habe gezeigt, dass auch in Städten wie Berlin und München langsam Stabilität einkehre.
Die Wohnungsmieten sind laut dem Gutachten von Prof. Dr. Harald Simons, Vorstand der empirica und im Frühjahrsgutachten zuständig für die Wohnungsmärkte, in Deutschland auch im letzten Jahr mit 4,3 Prozent weiter und etwas stärker als im Vorjahr (+3,1 Prozent) gestiegen. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Inflation entspricht dies einem realen Anstieg von 2,5 Prozent. Deutschlandweit lag der mittlere Mietpreis 2017 bei 7,46 Euro pro Quadratmeter nach 7,15 Euro pro Quadratmeter im Vorjahr. Auch die Kaufpreise für Eigentumswohnungen sind bundesweit betrachtet im Jahr 2017 weiter gestiegen. Der Anstieg fiel mit 7,9 Prozent im Vergleich zu 2016 etwas geringer aus als ein Jahr zuvor: Von 2015 bis 2016 stiegen die Kaufpreise noch mit einer Jahresrate von 8,8 Prozent. Im bundesweiten Mittel kosten nun Eigentumswohnungen aus dem Bestand 2.120 Euro pro Quadratmeter nach 1.970 Euro pro Quadratmeter im Vorjahr 2016.
Dennoch bestätigte Simons seine Vorjahreseinschätzung. „Die Zeiten der stürmischen Entwicklung der Wohnungsnachfrage sind in München, Berlin und Stuttgart zu Ende gegangen. In Hamburg, Frankfurt, Köln und Düsseldorf ist dies bislang nicht der Fall, aber eine Abschwächung ist auch hier gut möglich.“ Die Zuwanderung insbesondere nach München, Berlin und Stuttgart habe sich beruhigt. Gleichzeitig wachse das Wohnungsangebot kräftig, da sich die Baugenehmigungen der letzten Jahre nun durch höhere Fertigstellungszahlen bemerkbar machen. „Der nunmehr seit acht Jahren andauernde Kauf- und Mietpreisanstieg dürfte bald zu Ende sein.“
Für Neuberliner und Wohnungssuchende dürften diese Aussagen wohl für Aufatmen sorgen. Dennoch trügt das Bild. Nach wie vor erreichen die Neubauzahlen in Berlin nicht die Zahl der benötigten Wohnungen. Zwar könnten die Mieten langsamer steigen beziehungsweise auf einem stabilen Niveau verharren, doch nützt das in erster Linie Gutverdienern. Die freiwerdenden Wohnungen werden nach wie vor an diejenigen Haushalte vergeben, deren Mietausfallrisiko aufgrund des Einkommens am geringsten zu sein scheint.
Entsprechend negativ fällt auch das Zeugnis der Politik aus, das die Experten an diesem Tag ausstellten. „Vor diesem Hintergrund sind steuerliche und regulatorische Belastungen der Immobilienwirtschaft zu diskutieren. Zielführende Maßnahmen sollten an der Reduktion der Herstellungskosten von Neubauten ansetzen, beispielsweise durch die Verringerung oder Optimierung von Regulierungsmaßnahmen. Darüber hinaus sind Kommunen gefordert, eine aktivere Flächenpolitik zu betreiben. Dies könnte durch die Ausweisung neuer Flächen, eine schnellere Bearbeitungszeit für Baugenehmigungen oder eine Änderung der Bebauungsart gelingen“, erklärt beispielsweise Immobilien- und Wirtschaftsweiser Prof. Dr. Lars P. Feld von der Universität Freiburg.
Deutlicher formuliert es Dr. Andreas Mattner: „Die zähen Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen schaffen ein Regierungsvakuum und schaden der Konjunktur. Der Vertrag beschreibt im Klimaschutz eher Aufbruch und intelligente Methoden, im Mietrecht hingegen einen Rückfall ins Zeitalter der hemmenden Regulierung. Die formulierten Ziele wie die Neubauoffensive sowie die technologieoffene und wirtschaftlich sinnvolle Energiewende müssen durch konkrete Maßnahmen unterlegt werden. Unser regulatorisches Umfeld muss verbessert werden.“
Im Gespräch wurde ein weiteres Risiko für die deutschen Großstädte sichtbar. Bundesweit kam es 2017 zu einem sehr starken Einbruch der Fertigstellungszahlen von Büroflächen. Lediglich 1,6 Millionen Quadratmeter Neubaufläche wurden insgesamt in den 127 Büromärkten in Deutschland fertiggestellt. Der Rückgang im Vergleich zum Vorjahr belief sich auf minus 16,5 Prozent beziehungsweise auf ein Minus von rund 320.000 Quadratmetern. Besonders stark gingen die Neubaufertigstellungen in den A-Städten zurück und beliefen sich auf etwa 700.000 Quadratmeter. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet dies ein Minus von 27,1 Prozent. Der Leerstand ging somit in den 127 deutschen Büromarktstädten zum siebten Mal in Folge zurück.
Nachdem München (1,9 Prozent Leerstand), Stuttgart (2,1 Prozent Leerstand) und Berlin (2,4 Prozent Leerstand) faktisch vollvermietet sind, steuern die Büromärkte in Köln (4,0 Prozent Leerstand) und Hamburg (4,4 Prozent Leerstand) auf die 3,0 Prozent-Grenze für die Vollvermietung zu. Andreas Schulten, Vorstand der bulwiengesa AG, der im Frühjahrsgutachten die Entwicklung der Büroimmobilien analysierte, erklärte dazu: „Die zunehmende Büroverknappung kann deutliche Konsequenzen für die wirtschaftliche Entwicklung der Städte bedeuten. Unternehmen könnten gezwungen sein, bestehende Expansionen zu verschieben oder neue Flächen an anderen Standorten anzumieten. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist eine Büroverknappung ein gefährliches Signal. Die Politik sollte entsprechend darauf reagieren und ihren bislang bestehenden Fokus auf Wohnimmobilien entsprechend erweitern“.
Die Zuwanderung in Berlin beeinflusst nicht mehr nur den Wohnungs-, sondern auch den Büromarkt. Während die Öffentlichkeit auf die angespannte Lage bei Wohnimmobilien schaute und die Kommunen ihre Prioritäten in diesem Bereich setzten, verschlechterte sich die Lage bei Arbeitsplätzen. Die Folgen könnten vielseitig sein. Unternehmen, die neue Flächen suchen, könnten gezwungen werden, die Städte zu verlassen oder ihre Expansionspläne zu verschieben. Gründer werden zunehmend Probleme haben, adäquate Flächen für ihre Projekte zu finden. Und Berlin könnte seiner wirtschaftlichen Entwicklung selbst schaden.