Voll auf die Zwölf: Als sich CDU-Politiker Jens Spahn (37) darüber aufregte, dass viele Bedienungen in Berlin nur englisch sprechen, ließen Häme und Spott nicht lange auf sich warten.
SPD-Geschäftsführerin Juliane Seifert schrieb „I’m feeling so sorry for him. Poor guy.“ (Er tut mir leid, der arme Kerl.) Sie verkannte damit das Problem. Spahn selbst kann seinen Kaffee sehr wohl auch auf Englisch bestellen, doch darum ging es dem Staatssekretär im Bundesfinanzministerium nicht. Er monierte, dass in Berlin immer mehr Kellner und Tresenkräfte ihre Gäste nicht auf Deutsch bedienen können. Es ist schon schräg, wenn man im neuen Lokal in der eigenen Straße seinen Kaffee oder das Mittagessen nur auf Englisch bestellen kann, weil die jungen Spanier oder Israelis am Tresen keine drei Worte Deutsch zusammenkriegen. Leute, die wenig Englisch sprechen, meiden solche Etablissements, von denen manche noch nicht mal eine Speisekarte auf Deutsch anbieten. Und mancher kommt sich in Lokalen von Mitte, Kreuzberg und Neukölln wie in einem fremden Land vor, in dem man nur mit Pantomime weiterkommt. Muss das sein? Geht es nicht ein bisschen verbraucherfreundlicher? Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband sieht die Entwicklung undramatisch. Natürlich „sollten Menschen, die in Deutschland arbeiten“, laut Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges „auch Deutsch sprechen können“. Nicht nur im Umgang mit den Gästen – auch für eine reibungslose Kommunikation etwa zwischen Kellnern und Köchen – sei eine gemeinsame Sprache wichtig. Es sei aber auch ein „unschätzbarer Vorteil“, wenn Kellner auch Englisch oder andere Sprachen könnten – gerade in einer internationalen Stadt wie Berlin, so Hartges. Sie wies darauf hin, dass Gastronomie und Hotellerie auch Vorreiter bei der sprachlichen Integration sind: Ein Drittel der Beschäftigten habe einen Migrationshintergrund.
Berlin als „englischsprachige Hauptstadt“ – no way!
Wie sich unsere Muttersprache im Alltag entwickelt, beschäftigt den Verein Deutsche Sprache e. V. mit Sitz in Dortmund. „Kein anderes Land gibt seinen wichtigsten Grundwert, die eigene Sprache, so leichtfertig preis wie wir Deutschen“, so der Vorsitzende Holger Klatte, dessen Verein schon vor Jahren eine Petition zur Verankerung des Deutschen im Grundgesetz eingebracht hatte. Das Zusammenleben in Deutschland könne nur gelingen, wenn alle auch Deutsch sprechen, so Jens Spahn: „Das sollten und dürfen wir von jedem Zuwanderer erwarten.“ Ein Übergreifen der von ihm angeprangerten Situation in der Berliner Gastronomie auf andere deutsche Großstädte oder „die Provinz“ befürchtet Sprachschützer Klatte indes nicht: „Wenn ein internationales Publikum vorhanden ist, werden die Bedienungen von Restaurants und Bars sicherlich auch Englisch sprechen können. Das ist höflich und fördert den Absatz. Aber von ausschließlich englischen Bedienungen, nur weil es gerade Mode ist, habe ich nur in Berlin gehört.“ Der Verein Deutsche Sprache hatte sich in einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) beschwert, weil seine Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) Berlin zur „englischsprachigen Hauptstadt“ machen wollte. „Denn wir gehen immer noch davon aus, dass man in Berlin mit Deutsch gut durchkommen sollte. Eine Antwort gab es auf den Brief nicht“, berichtet Holger Klatte.
Nervende Anglizismen sogar im Duden
Kürzlich erschien die neue Ausgabe des Dudens mit 5.000 neuen Wörtern, so Holger Klatte. „Darunter sind viele Anglizismen, für die es deutsche Wörter gibt, wie low carb (kohlenhydratarm) und fair trade (fairer Handel).“ Viele gelangen seiner Ansicht nach zu voreilig in den Duden. „Auf diese Weise verhindert die Duden-Redaktion, dass sich die deutschen Entsprechungen durchsetzen. Derzeit stiftet aber eine andere sprachliche Entwicklung noch mehr Verwirrung, und zwar die Gendersprache. Hier geht wirklich einiges durcheinander. Ich habe schon Einladungen an ‚Mitgliederinnen und Mitglieder‘ bekommen oder sogar ‚Liebe Gästinnen und Gäste‘ gelesen.“
„Ich date grad eine bitch, die macht auf sophisticated und ernährt sich komplett low carb und aus fair trade.“ – mitgehört in Mitte
Deutsch? Englisch? Denglisch?
Deutsch ist in der EU die Sprache mit den meisten Muttersprachlern. „Aber die Stellung unserer Sprache in wichtigen Sprachdomänen wird seit Jahrzehnten schlechter“, beobachtet Holger Klatte. „So geben sich große Firmen Englisch als Unternehmenssprache, zuletzt Volkswagen. Und in einigen Wissenschaftsbereichen, vor allem in den Naturwissenschaften, gibt es keine deutschsprachigen Veröffentlichungen mehr.“ Da fragt man sich unwillkürlich, ob Jens Spahns Kritik ein Kampf gegen Windmühlen ist. Ist der Zug bereits abgefahren? Ist das Deutsche noch zu retten, und kann man die vielen und oft unnötigen Anglizismen überhaupt noch wirkungsvoll zurückdrängen? „Wir müssen gar nicht alle Anglizismen ‚zurückdrängen‘“, findet Holger Klatte. „Bis zu einem bestimmten Maß sind Fremdwörter in jeder Sprache normal und die kommen natürlich auch aus der weltweit am meisten gelernten Sprache Englisch.“ Aber das Deutsche sei eine sehr ausbaufähige Sprache, mit deren Wortschatz alles erklärbar ist. Deshalb empfiehlt der Sprachschützer: „Wenn jene, die den Zustand der deutschen Sprache mitbestimmen, also Werbeleute, Journalisten, Lehrer, Politiker und andere, ihrer Verantwortung für unsere Sprache gerecht würden, wäre schon viel gewonnen.“
Also hören wir endlich auf mit dem „Denglisch“: Buchen wir einen Veranstaltungsort statt einer „Location“, bestellen wir eine Tasse Bohnenkaffee statt eines „Flat White“, verabreden wir uns mit jemandem, der uns gefällt, statt ihn oder sie zu „daten“, und sagen wir wieder Vorstandsvorsitzender zum „GEO“. Okay?